Rezension: “Noah: Von einem, der überlebte” von Takis Würger

Vom Kampf ums Überleben und gegen das Vergessen

In den vergangenen Jahren hat es wohl nur wenige Neuerscheinungen gegeben, die für so viel Gesprächs- und vor allem Zündstoff innerhalb der Literaturbranche gesorgt haben wie Takis Würgers Roman Stella. Trotz der massiven Kritik – oder vermutlich eher:  Der massiven Kritik zum Trotz –, die Würger damals vor allem von Seiten des Feuilletons einstecken musste, hat er sich mit seinem Nachfolger Noah: Von einem, der überlebte erneut in ähnliche Wasser begeben: Auf rund 150 Seiten schildert er die Lebensgeschichte des Auschwitz-Überlebenden Noah Klieger. Bereits bei einer Lesung Anfang 2019 hatte er von seiner Arbeit an dem Buch und seiner gemeinsamen Zeit mit Klieger erzählt und schon da war Würger deutlich anzumerken, wie sehr ihn dieses dunkle Thema der Geschichte im Allgemeinen und Noahs persönliche Geschichte im Besonderen beschäftigen. Damals äußerte der Autor auch, dass er schon auf die Reaktionen des Feuilletons auf sein neues Werk gespannt sei. Nun, etwa zwei Jahre später, liegt das Ergebnis seiner Bemühungen vor und die Kritiker haben gegenüber Würger diesmal größtenteils Gnade walten lassen, doch zwischen den vielen anerkennenden Worten sind auch ein paar kritische Töne zu vernehmen. Auch mit Noah liefert Takis Würger also wieder reichlich Gesprächsstoff. Das ist aber auch gut so, denn dieses Buch hat vor allem aufgrund seines aufschlussreichen, berührenden Inhalts sämtliche Aufmerksamkeit und insbesondere eine große Leserschaft verdient.

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Rezension: “Shuggie Bain” von Douglas Stuart

Zwischen Anmut und Hässlichkeit, Hoffnung und Verzweiflung, Empathie und Abscheu

Für gewöhnlich mache ich mir nicht viel aus (inter-)nationalen Literaturpreisen. Okay, zugegeben, im Sommer schmökere ich dann doch ganz gerne durch das Leseprobenheft mit den Nominierten des Deutschen Buchpreises, aber hauptsächlich aus Gründen der Inspiration – den Gewinner lese ich dann trotzdem nur, wenn er mich inhaltlich anspricht, und nicht wegen seiner Auszeichnung. Oft treffen die Preisträger nämlich nicht so richtig meinen Geschmack. Dass der Gewinner des Booker Prizes 2020, dem wichtigsten britischen Literaturpreis, hier für mich jedoch eine schöne Ausnahme sein würde, das wusste ich schon, nachdem ich den Klappentext von Douglas Stuarts Debüt Shuggie Bain gelesen hatte: Ein Roman, der in Schottland spielt und alles andere als leichte Kost zu sein scheint, der wandert bei mir natürlich ohne Umwege direkt auf die vorderen Plätze der Leseliste. Zwar hat es dann letztendlich noch ein bisschen gedauert, bis ich mich Shuggie Bain widmen konnte, doch dann habe ich mich dieser herzzerreißenden, bedrückenden, bisweilen schonungslosen und gleichzeitig zärtlichen Geschichte, bei der trotz all der Düsternis und des Elends immer wieder Funken voller Hoffnung, Wärme und Mitgefühl zum Leser überspringen, völlig hingegeben und wurde nachhaltig beeindruckt.

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Rezension: “Immer noch wach” von Fabian Neidhardt

Was am Ende wirklich zählt

Wenn ich in eine Buchhandlung gehe, habe ich eigentlich in 99% der Fälle bereits vor Augen, welches Buch beziehungsweise welche Bücher ich mitnehmen werde, denn meine Bücherwunschliste ist lang und wird immer länger. Trotzdem stöbere ich gern, auch wenn mich dann wirklich selten ein Buch spontan so sehr anspricht, dass ich es unbedingt und sofort haben muss. Am vergangenen Samstag ist aber tatsächlich wieder einmal einer dieser raren Fälle eingetreten: Kurz nach dem Betreten des Buchladens ist mir in der Auslage nahe des Eingangs Immer noch wach von Fabian Neidhardt ins Auge gestochen. Den Namen des Autors und den Titel des Buches hatte ich bis dahin weder gehört noch gesehen, aber die Covergestaltung war auf Anhieb so ansprechend, dass meine Aufmerksamkeit geweckt war. Aber nicht nur die Optik war für mich sofort interessant, sondern auch der Klappentext: Die beschriebene Geschichte voller Schwermut, aber auch Tragikomik klang genau nach meinem Geschmack. Also schnappte ich mir das hübsche Büchlein und trug es nachfolgend quer durch den Laden – nur um es vor dem Rausgehen wieder an seinen ursprünglichen Platz zurückzustellen. „Brauche ich diesen Roman wirklich jetzt auf der Stelle, obwohl so viele andere tolle Bücher schon so lange ein unbestimmtes Dasein auf meiner Wunschliste fristen?“, fragte mich beim Stöbern die Stimme der Vernunft in meinem Kopf immer wieder und so beschloss ich, Immer noch wach auch erstmal auf die Warte-/Wunschliste zu setzen. Das Ende der Geschichte war dann allerdings, dass mir der Roman danach nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte, sodass ich letztendlich später noch mal extra zu der Buchhandlung zurückgelaufen bin und mir das Buch doch noch gekauft habe. Im Nachhinein bin ich sehr froh, dass ich das getan habe, denn hier lag ich mit meinem Instinkt wirklich goldrichtig: Zwischen diesen beiden – ich muss es noch einmal betonen – hübsch gestalteten Buchdeckeln steckt eine wirklich besondere und vor allem besonders erzählte Geschichte, die nachhaltig beschäftigt.

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Rezension: “Hard Land” von Benedict Wells

Federleicht & bleischwer: Die Geschichte eines bittersüßen Sommers

Fast genau fünf Jahre ist es her, dass Benedict Wells‘ letzter Roman Vom Ende der Einsamkeit erschienen ist. Sieben lange Jahre hat er damals an seinem Bestseller geschrieben und gefeilt. Und auch wenn er für seinen neuen Roman Hard Land nicht ganz so lange gebraucht hat (und in der Zwischenzeit alles andere als untätig war – 2018 erschien sein Kurzgeschichtenband Die Wahrheit über das Lügen), sind die Jahre und Monate für begeisterte Wells-Fans (wie meine bescheidene Wenigkeit) trotz allem nur langsam ins Land gezogen. Es hat eine gefühlte Ewigkeit gedauert, bis man das sehnlichst erwartete Buch nun endlich in den Händen halten konnte – nur um dann damit dazusitzen und sich nicht richtig entscheiden zu können, ob man dem Leseverlangen nun direkt nachgeben oder die Vorfreude noch ein kleines bisschen länger auskosten möchte. Startet man dann doch (früher oder auch später) mit dem Lesen, geht es wieder von vorn los: Einerseits fliegt man nur so durch die Seiten, andererseits ist man entweder damit beschäftigt, sich selbst zu bremsen, um die Lektüre möglichst lange genießen zu können, oder legt aber auch ab und zu freiwillig eine Pause ein, um das eben Gelesene zu verdauen. Wahrlich eine emotionale Achterbahnfahrt. So oder so ähnlich geht es auch Wells‘ neuem Protagonisten Sam, der in Hard Land den „schönsten und schlimmsten Sommer [s]eines Lebens“ (S.19) mit vielen nie-enden-sollenden, aber auch mit fast so vielen nie-enden-wollenden Momenten erlebt. Eine bittersüße Coming-of-Age-Geschichte, die mal federleicht, mal bleischwer daherkommt und teilweise zwar etwas schmerzt, aber letzten Endes eben auch irgendwie wieder alles gutmacht – eine große Kunst, die Benedict Wells mittlerweile bis zur Perfektion beherrscht.

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Rezension: „Alle sind so ernst geworden“ von Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre

Fast genial daneben

Dass er einen feinen Sinn für Humor besitzt und ein wahrer Meister der Worte ist, das beweist der Schweizer Autor Martin Suter immer wieder in seinen zahlreichen Romanen und Kolumnen. In Interviews und Lesungen wird zudem deutlich, dass Suter ein angenehmer, offener und auch durchaus launiger Gesprächspartner zu sein scheint, der – laut eigener Aussagen – selbst nie lange ernst bleiben kann. Mit seinem Schriftstellerkollegen Benjamin von Stuckrad-Barre, bekannt für sein Debüt Soloalbum sowie seinen autobiografischen Roman Panikherz, hat er nun offenbar einen Gleichgesinnten gefunden, der genauso gerne mit Wörtern und Formulierungen jongliert, Freude am Fabulieren hat und es mit dem Ernstnehmen ebenfalls nicht so eng zu sehen scheint. Was dabei rauskommt (und wie es aussieht), wenn sich dieses auf den ersten Blick doch recht ungleiche Paar zu einem munteren Plausch zusammensetzt, kann man nun in dem rund 270 Seiten starken Buch mit dem passenden Titel Alle sind so ernst geworden nachlesen. Suter und Stuckrad-Barre unterhalten sich darin über allerlei eher kleine als große Themen und wandeln dabei beeindruckend geschickt auf einem bisweilen recht schmalen Grat zwischen Genialität und Klamauk.

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