Rezension: “Jetzt wirds ernst” von Robert Seethaler
Von einem, der auszog, das Schauspielern zu lernen
Im Herbst 2016 hat es Robert Seethaler geschafft, mich mit seinem aktuellsten Werk Ein ganzes Leben komplett in den Bann zu ziehen. Seitdem habe ich – wie hier auch durch die jeweiligen Buchbesprechungen dokumentiert – nach und nach seine anderen Bücher gelesen und größtenteils genossen. Dieser Kreis schließt sich nun mit meiner Rezension zu Jetzt wirds ernst, dem letzten seiner bisher veröffentlichten Romane, welches ich mir zugegebenermaßen auch ein bisschen aufgespart hatte, damit mir der Seethaler-Stoff nicht allzu schnell ausgeht. Gelohnt hat sich das, um ehrlich zu sein, jedoch nicht wirklich, denn mit Jetzt wirds ernst nahm mein Seethaler-Leseprojekt, das ja so fulminant begonnen hatte, ein relativ unspektakuläres Ende (welches aber noch durchaus ernüchternder gewesen wäre, hätte ich mir etwa Die Biene und der Kurt für den Schluss aufgehoben…).
Nach der Lektüre aller fünf Romane zeichnen sich auf alle Fälle bestimmte Muster ab, die mal mehr, mal weniger stark ausgeprägt in jedem einzelnen Werk zu finden sind. Ganz deutlich ist hier natürlich immer wieder aufgefallen, dass Seethaler in seinen Romanen stets Figuren in den Mittelpunkt rückt, die man als 0815-Typen beschreiben könnte: die Normalos, die Einfältigen, die Unscheinbaren oder auch die ewigen Versager, denen üblicherweise kaum eine bis keine Beachtung geschenkt wird. Doch Seethaler beleuchtet in seinen Werken die Schicksale eben solcher Menschen, lässt sie in ihrem scheinbar so biederen Alltag überraschend Außergewöhnliches erfahren und sie damit letztendlich zu großen Helden in ihrer ganz eigenen kleinen Welt werden. So auch in Jetzt wirds ernst, einer Coming of Age-Geschichte über einen Jungen bzw. jungen Mann aus der Provinz, der eigentlich in die Fußstapfen seines Vaters treten und Friseur werden soll, aber doch viel lieber Schauspieler werden will. Seethaler schildert hier sowohl die kleinen und großen, teils unangenehmen und teils schönen Momente in der Kindheit und Jugend seines namenlosen Helden als auch die Höhen und Tiefen des Schauspielerdaseins. Auf seinem beschwerlichen (Irr-)Weg ins Scheinwerferlicht und in eine selbstbestimmte Zukunft muss Seethalers Protagonist somit auch einige herbe Rückschläge zurückstecken: Schon früh mit dem Verlust der Mutter konfrontiert, verliert er dann seinen großen Schwarm ausgerechnet an seinen besten Freund, kann sonst nicht groß beim weiblichen Geschlecht punkten und wird obendrauf noch von der Filmindustrie mit Füßen getreten. Und trotz alledem lässt sich der junge Mann nie beirren und hält bis zum Schluss beharrlich an seinem Traum, ein richtiger Schauspieler zu werden, fest.
Letztere Eigenschaft teilt besagte Figur auch mit Seethalers anderen Protagonisten, die sich als buchstäbliche Stehaufmännchen trotz aller Widrigkeiten ebenfalls immer wieder hochrappeln und unbeirrt weitermachen. Folgender Absatz aus Jetzt wirds ernst verdeutlicht beispielshaft diesen bemerkenswerten Willen der Protagonisten, auch bei Gegenwind immer wieder aufzustehen:
Irgendwann war es vorbei, und ich lag da. Ein durchgerütteltes Bündel Mensch in seinem eigenen Dreck. Mühsam rappelte ich mich hoch. Der Himmel war mittlerweile komplett zugezogen. An der Häuserwand tanzte ein kleiner Staubwirbel entlang. Ich versuchte einen Schritt. Dann den nächsten. Langsam und wacklig, aber es ging. Irgendwie geht es ja immer. (S. 105)
Im Großen und Ganzen ist das auch die Botschaft des Buches: Kämpfe für deine Überzeugung(en) und lebe deinen Traum, denn Beharrlichkeit und Ehrgeiz zahlen sich aus. Eine schöne Botschaft, die jedoch in bzw. dank einer verhältnismäßig langweiligen Story etwas an Aussagekraft verliert: Im Grunde handelt es sich hier nämlich um eine völlig unspektakuläre Entwicklungsgeschichte, die kaum an Fahrt oder Spannung gewinnt, weil sie durch das Fehlen unerwarteter Wendungen an einigen Stellen doch zu vorhersehbar ist. Das macht es dem Leser letztendlich auch schwer, mit dem Protagonisten mitzufiebern und sich aufrichtig für sein Schicksal zu interessieren. Mich zumindest kümmerte es, um ehrlich zu sein, ziemlich wenig, ob der Junge nun eine Chance als Schauspieler bekommt und endlich von seinem Jungfrauendasein „erlöst“ wird – das Ganze ließ mich ziemlich kalt, so grausam das vielleicht auch klingen mag.
Ich hatte beim Lesen durchweg das Gefühl, dass ein bisschen mehr Pfiff der Geschichte sehr gutgetan hätte. Was an Übertreibung und Skurrilität beispielsweise in Die Biene und der Kurt zu viel war, hätte stattdessen gut auf Jetzt wirds ernst verteilt werden können: Die eine Geschichte hat von allem einen Hauch zu viel, die andere hingegen von allem ein bisschen zu wenig. Und dass Seethaler diese Gratwanderung aber auch durchaus gelingen kann, haben ja Der Trafikant und Ein ganzes Leben gezeigt. Insbesondere Letzteres ist auch ein wunderbares Beispiel dafür, dass es beim besten Willen kein großes Spektakel braucht, um den Leser mitzureißen – und ein wie auch immer gestaltetes Spektakel hatte ich im Fall von Jetzt wirds ernst nicht einmal erwartet, aber auch sonst konnte ich absolut nichts wirklich Besonderes an und in diesem Roman entdecken.
Lediglich Seethalers Sprache und seinem so eigenwilligen Stil war es im Prinzip zu verdanken, dass ich das Buch trotz des geringen Interesses am Fortgang der Handlung weitergelesen habe. Oft genug habe ich mich mittlerweile in großer Begeisterung über Robert Seethalers charakteristischen Schreibstil, der manchmal lakonisch und manchmal zärtlich, teils augenzwinkernd und teils melancholisch daherkommt, ausgelassen, deswegen möchte ich hier nicht mehr allzu sehr ausholen. Was mir im Fall von Jetzt wirds ernst jedoch erneut besonders positiv aufgefallen ist: Zum einen natürlich Seethalers große Hingabe zu seinen Figuren und die damit zusammenhängende liebevolle Beschreibung sämtlicher Charaktere, zum anderen aber vor allem auch seine Liebe für die kleinsten Details und seine ausführlichen sowie äußerst bildreichen Schilderungen sämtlicher, womöglich noch so unbedeutender Szenen. Folgende zwei Textausschnitte, die mir genau wegen der eben genannten Punkte besonders gut gefallen haben, verdeutlichen Seethalers scharfe Beobachtungsgabe:
Die gläserne Eingangstür öffnete sich, und man betrat eine fremde Welt. Hier schienen die Lebensvorgänge ihren üblichen Rhythmus verloren zu haben. Die Zeit war wie geronnen. Die Minuten lösten sich wie dickflüssige Tropfen aus den Wänden, die Stunden wälzten sich bleischwer durch die langen Gänge und die Tage kamen gar nicht mehr vom Fleck. (S. 43)
Die Theke war das Prunkstück des Lokals. Ein riesiges Ungetüm, schwarz, speckig und abgegriffen. Eine Steilwand, oft bestiegen aber nie bezwungen, ein dunkler Fels, an dessen Fuß sich die abgestürzten Alkoholleichen schon zu hohen Haufen stapeln würden, hätte man sie nicht nach jeder Sperrstunde aufs Neue entsorgt. Der Wächter dieses Massivs war der Heilige Ernst persönlich. Wie ein ausgedörrter, ziemlich verwachsener Baum ragte er hinter seiner Theke hervor und überblickte die Geschehnisse. Niemand hatte ihn diesen Platz jemals verlassen sehen. (S. 153)
Bezüglich der Sprache stieß mir jedoch auch eine Sache häufig ziemlich sauer auf – und zwar Seethalers regelrecht inflationäre Verwendung von Kraftausdrücken in diesem Roman. Wörter wie „Titten“, „Arsch“ und „Scheiße“ begegnen einem gefühlt auf jeder Seite, und ich hatte mir sogar einmal kurz überlegt, eine Strichliste darüber zu führen, wie häufig das Wort „Rotz“ in seinen verschiedensten Formen in diesem Buch auftaucht (nämlich auf alle Fälle überproportional oft!). Selbstverständlich ist mir bewusst, dass es sich hier um einen Coming of Age-Roman handelt und der Autor sein Vokabular aus Gründen der Authentizität wohl dem des jugendlichen Ich-Erzählers anpassen wollte, aber diese Erkenntnis kann über das leicht unangenehme Gefühl, das beim Lesen wegen der teils anstößigen Sprache entsteht, dennoch nicht gänzlich hinweghelfen. Dass das nämlich auch deutlich subtiler und stilvoller geht, hat Seethalers späterer Roman Der Trafikant, dessen Protagonist sich wohl in etwa dem gleichen Alter befinden sollte wie der Held in Jetzt wirds ernst, eindringlich gezeigt.
Interessant fand ich wiederum die Tatsache, dass auch dieser Roman wie auch die anderen Werke mit erstaunlich wenigen Dialogen auskommt – und das wohlgemerkt bei einer Geschichte, in der es um das Schauspielhandwerk und um das Theater geht, das ja doch zu großen Teilen von Konversation lebt. Apropos Schauspiel: Den damit zusammenhängenden Kapiteln, Episoden und Schilderungen bzw. eigentlich dem ganzen Roman war auch deutlich anzumerken, dass das von jemandem geschrieben wurde, der Ahnung von der Materie und einen umfassenden Einblick in die Industrie hat (Robert Seethaler ist ausgebildeter Schauspieler). Eben jenes offensichtliche Verständnis davon, was es bedeutet, auf der Bühne/vor der Kamera zu stehen, ist gerade den Beschreibungen des Lampenfiebers und der Ängste des Protagonisten ausdrücklich anzumerken. Und dennoch: Trotz aller Glaubwürdigkeit vermochte es Seethaler mit dieser Geschichte nicht, mich zu überzeugen oder gar zu bewegen.
Damit bleibt meine Meinung zu Jetzt wirds ernst eine eher zwiegespaltene: Zwar war die Leseerfahrung insgesamt nicht schlecht und bei Weitem nicht so frustrierend wie meine Lektüre von Die Biene und der Kurt, aber im Ganzen ist es Robert Seethaler diesmal leider nicht gelungen, mich auch nur ein bisschen für seine Geschichte zu begeistern, weswegen ich schon jetzt das Gefühl habe, dass diese bei mir in kurzer Zeit in Vergessenheit geraten wird. Seethalers übliches, so bemerkenswertes Potential und Ausnahmetalent konnte ich hier einzig bruchstückhaft in der Sprache und dem Stil des Romans wiedererkennen. Aus diesem Grund würde ich dieses Buch nicht unbedingt weiterempfehlen und vor allem Seethaler-Neulingen dazu raten, eher zu seinen beiden neuesten Romanen zu greifen, denn hier hat der Autor absolut alles richtiggemacht. Eben jene beiden Werke sind es auch, die mir selbst nach der bitteren Enttäuschung mit Die Biene und der Kurt und nach der vergleichsweise öden Leseerfahrung mit Jetzt wirds ernst immer noch die Hoffnung lassen, dass mich auch Robert Seethalers zukünftige Werke wieder vollkommen überzeugen können. Ich freue mich schon jetzt darauf!
Habt ihr schon Bücher von Robert Seethaler gelesen?
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