Bericht: Lesung von T.C. Boyle in Konstanz am 21. November 2017

Science-Fiction trifft auf jahrhundertealte Geschichte: „Ecosphere 2“ im Konstanzer Konzil

Gestern ging es für mich völlig spontan zur Lesung von T.C. Boyle in Konstanz. Wochenlang hatte ich zwar schon überlegt, die Lesung zu besuchen, doch da ich bis jetzt weder Boyles aktuellen Roman Die Terranauten noch ein anderes seiner Bücher gelesen habe, zögerte ich bis zuletzt. Als mich dann gestern Abend jedoch eine Freundin fragte, ob ich auch zu Boyles Lesung ginge, entschied ich mich kurzerhand doch noch dafür, schließlich bekommt man ja auch nicht alle Tage die Gelegenheit, einen der größten zeitgenössischen amerikanischen Autoren live sehen und lesen hören zu können. Und ich muss sagen: Ich bin im Nachhinein wirklich froh darüber, dass ich auf der Lesung gewesen bin.

Eigentlich widerspricht es meiner Natur, unvorbereitet auf Lesungen zu gehen und mit dementsprechend wenig Hintergrundinformationen/Vorkenntnissen hier zu berichten. Auch muss ich zugeben, dass ich mir gestern – wieder untypisch für mich – auch aus diversen Gründen keine Notizen gemacht habe. Da ich mich deswegen nun also auf mein eher mittelprächtiges Erinnerungsvermögen verlassen muss, nehmt es mir bitte nicht übel, falls dieser Lesungsbericht eventuell etwas kürzer oder weniger ausführlich als sonst ausfällt. Dennoch wollte ich ein paar Impressionen vom gestrigen Abend im Allgemeinen sowie meinen ersten Eindruck von T.C. Boyle und seinem Roman Die Terranauten im Speziellen gerne festhalten.

Um kurz vor halb Acht kam ich also am Konstanzer Konzil an. Tatsächlich kannte ich das berühmte Bauwerk bis dahin nur von außen und hatte dank Boyles Lesung somit nach all den Jahren nun auch einmal die Möglichkeit, das geschichtsträchtige Gebäude von innen zu bestaunen. Da der Einlass bereits um 19 Uhr begonnen hatte, herrschte schon ordentlich Trubel im Foyer und auch die Sitzreihen im Saal waren schon so gut gefüllt, sodass es für mich lediglich noch für einen Platz im hinteren Drittel des Saals reichte – also leider auch nicht die besten Voraussetzungen für sonderlich gute Bildaufnahmen, sorry dafür an dieser Stelle. Nachdem ich mich mit der englischen Originalausgabe des Romans im Hinblick auf die anschließende Signiermöglichkeit eingedeckt hatte, machte ich es mir auf meinem Platz gemütlich und unterhielt mich mit meinen Sitznachbarinnen, die den Roman auch noch nicht oder höchstens zur Hälfte, aber immerhin teilweise andere Bücher von Boyle, z.B. The Tortilla Curtain, gelesen hatten, über die bevorstehende Lesung. Wir waren alle sehr neugierig und erwarteten den Auftritt des Autors mit großer Spannung.

Meine Vorfreude auf die Lesung wurde jedoch umgehend getrübt, als Heinrich Riethmüller, Geschäftsführer der Osianderschen Buchhandlung, um kurz nach Acht das Publikum begrüßte und seine ausdrückliche Freude darüber äußerte, einen so hochkarätigen Schriftsteller wie T.C. Boyle in Konstanz präsentieren zu dürfen, jedoch fast im selben Atemzug ankündigte, dass die ursprünglich geplante Moderatorin Margarete von Schwarzkopf erkrankt war und kurzfristig jemand anderes einspringend musste. Bei der Erwähnung des Namens „Schamma Schahadat“ machte sich bei mir dann nämlich leichter Unmut breit, da mir die Moderation der Tübinger Slawistin bei der Lesung von Arundhati Roy (HIER nachzulesen) in nicht allzu guter Erinnerung geblieben ist. Und ihre Nervosität und latente Fahrigkeit, die mich das letzte Mal so gestört hatten, hätte ich ihr gestern, da sie offenbar nur einen Tag zur Vorbereitung und Lektüre des 600-seitigen Romans gehabt hatte, wirklich nachgesehen, doch ein paar ihrer Fragen und vor allem ihre oft recht freien bzw. ungenauen Übersetzungen vom Englischen ins Deutsche ließen mich wieder einige Male die Stirn runzeln. Im Übrigen ging es nicht nur mir so: Auch bei meinen Sitznachbarinnen dauerte es keine zehn Minuten, bis sie beispielsweise als Reaktion auf einen Übersetzungsversuch der Moderatorin ebenfalls ungläubig den Kopf schüttelten.

Nun ist es nämlich nicht so, als hätte T.C. Boyle es ihr und seinen Zuhörern sonderlich schwergemacht, seinen Ausführungen zu folgen – bei seiner Schriftstellerkollegin Arundhati Roy war das hingegen noch ein ganz anderer Fall. Während Roy stets sehr weit ausholte und mehrere Themen auf einmal anschnitt, waren Boyles Antworten in den allermeisten Fällen relativ kurz und bündig. Worüber sich die Moderatorin also hätte freuen sollen, frustrierte mich hingegen fast ein bisschen: Ich mag es immer sehr, wenn die Autoren und Autorinnen viel von sich selbst aus erzählen und gehe vor allem auch gerne zu Lesungen, weil ich an den Persönlichkeiten hinter den Büchern und den vielseitigen Hintergründen zu ihren jeweiligen Werken unheimlich interessiert bin. Dieses Bedürfnis (wenn man es so nennen kann) konnte (oder wollte?) T.C. Boyle bei mir gestern nicht so richtig stillen: Er mag in seinen Büchern vielleicht ein Mann der großen Worte sein – darüber kann ich noch nicht hundertprozentig urteilen –, doch gestern zeigte sich der amerikanische Starautor zumindest nach meinem Empfinden von einer etwas bedeckten, undurchschaubareren, aber wohlgemerkt keineswegs unsympathischen Seite. Womöglich hätte ihm ein/e andere/r Gesprächspartner/in vielleicht auch umfangreichere Antworten entlocken können, vielleicht gehört die Kurzangebundenheit aber auch zu seinem Charakter oder es handelt sich gar um eine ausgefeilte Strategie, Neugier zu erzeugen. Falls Letzteres tatsächlich Boyles Absicht sein sollte, dann hat er zumindest bei mir sein Ziel meisterhaft erreicht: Mein Interesse an ihm, seinen Werken und vor allem auch an Die Terranauten hat er auf alle Fälle geweckt.

Denn den ein oder anderen Fakt über seinen letzten Roman, seine Denkweise, seine (politischen) Ansichten, seinen Schreibprozess oder auch sein neues Romanprojekt haben wir gestern dann natürlich trotz allem erfahren. So erzählte Boyle zunächst ein bisschen über die Hintergründe seines Romans Die Terranauten, der an eine wahre Geschichte angelehnt ist: Genau wie in seinem Buch unternahmen Wissenschaftlicher im US-Bundesstaat Arizona ein Projekt, bei dem acht Menschen in einer künstlich nachgebildeten, nach außen geschlossenen Ökosphäre (genannt „Ecosphere 2“) zwei Jahre lang leben und erforschen sollten, ob ein autarkes Leben in einem eigens erschaffenen Ökosystem möglich wäre. Das Experiment weckte großes Medieninteresse, scheiterte jedoch nach zwei erfolglosen Versuchen. Von dieser Geschichte hat Boyle offenbar viel in seinen Roman miteinfließen lassen, diesen jedoch mit fiktionalen Charakteren bevölkert und den Fokus hier vor allem auf die Interaktion zwischen den einzelnen Figuren, die Gruppendynamik und die daraus unweigerlich entstehenden Spannungen gelegt. Die Geschichte wird aus der Sicht von drei Ich-Erzählern erzählt, zwei davon – Dawn Chapman und Ramsay Roothoorp – befinden sich in, eine davon – Dawns beste Freundin Linda Ryu – außerhalb der „Ecosphere 2“. Bei der Letzteren handle es sich, so gab Boyle zu, übrigens um seine heimliche Lieblingsfigur, weil er für sie die meisten Sympathien hege, da sie trotz aller Anstrengungen beim Auswahlverfahren um die Teilnahme an dem Experiment auf der Zielgerade gescheitert sei. Außerdem berichtete der Autor auch, dass er großen Spaß daran hatte, die vielen Charaktere auf einen Haufen zu werfen und zu beobachten, was passieren würde – denn es müsste ja bei vier Frauen und vier Männern, die für längere Zeit auf engstem Raum zusammenlebten, schließlich so kommen, wie es eben kommen müsste: Das Buch beinhalte viel Sex, erklärte er und warnte all diejenigen davor, den Roman zu lesen, die bei solchen Themen eher empfindlich seien.

Sex sei ja im Übrigen auch ein viel erfreulicheres Thema als beispielsweise Politik, entgegnete T.C. Boyle der Moderatorin schließlich auch mit einem breiten Grinsen auf eine Frage, die auf die aktuelle politische Lage in den USA abzielte. Stattdessen ging er lieber noch einmal ein bisschen genauer auf die Beziehung zwischen Dawn und Ramsay ein. Schahadat ließ jedoch nicht locker und wollte trotz der offensichtlichen Ausweich- bzw. Ablenkungsmanöver Boyles von diesem wissen, wie er zur politischen Situation in den USA stünde. Geschickt lenkte der Autor aber auch hier wieder von sich ab, indem er Humor bewies und zunächst einen Voodoozauber auf gewisse Bewohner des Weißen Hauses legte und mit einem Augenzwinkern noch Mark Twain zitierte: Er wünsche zwar niemandem den Tod, würde aber den ein oder anderen Nachruf mit Vergnügen lesen.

Nachdem das leidige Thema „US-Politik“ somit endlich abgehakt war, gab Boyle auch ein paar Details zu seinem neuen Buchprojekt bekannt, das den Titel Outside Looking In tragen und offenbar schon 2019 in der deutschen Übersetzung bei Hanser erscheinen soll. In dem Roman geht es um LSD und dessen Erfinder, den Schweizer Albert Hoffmann, und Boyle wirkte (natürlich nicht sonderlich überraschend) sehr begeistert von seiner Idee – man darf also auch schon auf Boyles mittlerweile 17. Roman gespannt sein.

Viel Zeit für Fragen vom Publikum blieb dann jedoch nicht mehr, was den Autor, so schien mir, aber auch nicht groß zu stören schien. Dieser Umstand brachte mich kurz zum Stutzen, da die Gespräche zwischen den Lesern und dem/der Autor/in meiner Erfahrung nach immer noch interessante Einsichten mit sich bringen, doch waren zwei der drei gestellten Publikumsfragen tatsächlich nicht erwähnenswert. Dank der dritten Frage und Boyles Antwort darauf erhielt man aber doch noch einen interessanten Einblick in T.C. Boyles Autorendasein und bekam obendrauf auch noch einmal einen Eindruck von Boyles offensichtlich rabenschwarzem Humor. So schilderte der US-Autor auf die Frage, wie sein Schreibprozess aussehe, nämlich folgendes Szenario: Sieben Tage in der Woche stünde er früh auf, räume hinter seiner Frau hinterher (für diese selbstverständlich ironische Aussage kam ihm kurz ein Raunen aus dem Publikum entgegen), ginge dann mit dem Hund Gassi und beginne dann mit dem Schreiben, auf das er sich an manchen Tagen besser und an manchen schlechter konzentrieren könne. „Dabei liegt auf dem Schreibtisch immer eine Pistole neben mir, damit ich stets vor Augen habe, was die Alternative zum Schreiben wäre“ – sprach er, verbeugte sich kurz und ging zur Bühnenseite ab. Mindestens so überrascht wie das Publikum stand die Moderatorin nun (und diesmal immerhin zurecht) etwas verdattert da und verabschiedete sich mit den Worten, dass der Autor hoffentlich zurückkomme, schließlich müsse er ja noch Bücher signieren. Auch ich war erst ziemlich verwundert über diesen unvermittelten Abgang, aber zum Glück tauchte Boyle nach einigen Minuten wieder auf und nahm sich anschließend die Zeit, um mit Lesern Selfies zu machen, ein bisschen Small Talk zu führen und natürlich seine Bücher zu signieren.

Insgesamt bin ich sehr froh darüber, dass ich meine anfänglichen Zweifel beiseitegelegt und letzten Endes doch noch zu der Lesung gegangen bin. Auch wenn T.C. Boyle vielleicht nicht ganz so gesprächig und auskunftsfreudig war, wie ich es von anderen Schriftsteller/innen sonst gewohnt bin, und er deshalb erstmal noch ein kleines Mysterium für mich bleiben wird, hat er dennoch – oder eben gerade deswegen – mein Interesse an seiner Person und seinen Werken geweckt. Da ich davor ziemlich gemischte Meinungen zu Die Terranauten vernommen hatte und bis gestern auch der Annahme war, das Buch sei zu „sci-fi“ für mich, habe ich mich bisher nicht an den Roman gewagt. Doch gerade die zwei vorgelesenen Stellen (Lydia Roscher vom Konstanzer Stadttheater las eine Passage aus der Sicht Dawns und T.C. Boyle gab seinem Charakter Ramsay seine Stimme) haben mir vor allem wegen der humorvollen, gewitzten Schreibweise überraschend gut gefallen. Nun freue ich mich wirklich darauf, The Terranauts zu lesen und Boyle noch ein bisschen mehr für mich zu entdecken.

Habt ihr den Roman bereits gelesen? Wenn ja, wie hat er euch gefallen?
Lass es mich wie immer gerne in den Kommentaren wissen!

Kommentare

  1. literaturreich

    Ich habe T.C.Boyle mal vor vielen Jahren erleben dürfen und fand ihn sehr aufgeschlossen, witzig und eigentlich gar nicht wortkarg. Nun, Menschen ändern sich, vielleicht war es aber tatsächlich die Moderatorin oder einfach die Tagesform. Es scheint aber trotzdem ein interessanter Abend gewesen zu sein. Danke, dass du uns teilhaben lassen hast.

    1. Liebe Petra,
      das ist wirklich sehr interessant! So langsam beschleicht mich tatsächlich das Gefühl, dass es durchaus entweder an der Tagesform (das schnelle Verschwinden am Ende war ja auch sehr merkwürdig) oder etwa doch an der Gesprächspartnerin gelegen haben könnte. Als direkt “wortkarg” hätte ich Boyle auf jeden Fall auch nicht eingestuft, nur eben als etwas kürzer angebunden als die meisten anderen Autoren, die ich bisher auf Lesungen erleben durfte. Aber ich bin, wie gesagt, einfach ein Fan von “Labertaschen” – vielleicht, weil ich selbst eine große bin. 😉 Boyles Humor sagte mir ja gestern auf alle Fälle auch sehr zu, hoffentlich ist der Roman mit mindestens genauso schwarzem Humor gespickt.
      Viele liebe Grüße,
      Elena

  2. Liebe Elena, ich finde T.C.Boyle toll, ich habe letztes Jahr zehn Romane von ihm gelesen, die mir fast alle (außer Talk Talk) sehr gut gefallen haben – die Terranauten kenne ich allerdings noch nicht. 🙂 Der Kommentar mit der Pistole – hui, das nennt man wohl schwarzen Humor. Toll, dass du bei seiner Lesung dabei sein konntest.
    Liebe Grüße, Eva

    1. Liebe Eva,
      das klingt ja sehr vielversprechend, wenn dir so viele seiner Romane so gut gefallen haben! Da bin ich doch jetzt mal optimistisch, dass Boyles Romane dann auch etwas für mich sein könnten. 🙂
      Und ja, der Kommentar hatte es wirklich in sich. Ich habe mir ja, wie geschrieben, diesmal keine Notizen gemacht, aber das war so ein Zitat, das mir definitiv ohne große Mühen im Gedächtnis geblieben ist. 😉
      Viele Grüße,
      Elena

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