Bericht: Lesung von George Watsky am 28. September 2017 in Tübingen

Watsky vermasselt’s ganz und gar nicht

Wie man es von mir und meinem Blog mittlerweile fast ein bisschen gewohnt ist, kommt eine Lesung selten allein. Schlag auf Schlag folgt hier manchmal ein literarisches Knallerevent auf das nächste. Und so war’s auch letzten Monat, denn zwei Wochen nach der großartigen Veranstaltung mit Arundhati Roy stand schon die nächste Lesung ins Haus: George Watsky machte auf seiner kleinen Lesetour durch Deutschland und die Schweiz auch einen Stopp hier im Schwabenländle, somit ging’s für mich also innerhalb kürzester Zeit noch einmal nach Tübingen. Bereits bei meinem letzten Abstecher dort hatte ich mir im Deutsch-Amerikanischen Institut (d.a.i.) Karten für die Lesung gesichert und blickte ihr mit großer Vorfreude entgegen. Watskys Prosadebüt Wie man es vermasselt hatte ich bis dahin zwar noch nicht einmal gelesen (keine Sorge, das hat sich inzwischen geändert und die Rezension folgt in Bälde 😉 ), aber ein Abend mit unterhaltsamen Stories und eventuellen Poetry Slam- und Rap-Einlagen klang dann doch zu verlockend, als dass ich hätte widerstehen können. Und es hat sich definitiv gelohnt, auf meinen Instinkt zu vertrauen, denn der Abend mit George Watsky hat wirklich sehr viel Spaß gemacht.

Watkys Lesung fand in einem der Vortragsräume des d.a.i. statt, der mit einer kleinen Bühne ausgestattet und mit etwas über hundert Sitzplätzen bestuhlt war. Die ersten zwei (bzw. auf der einen Seite drei) Reihen waren bereits für eine Schulklasse besetzt, was etwas schade war, da wir (und vor allem einige eingefleischte Watsky-Fans) somit etwas weiter nach hinten verbannt wurden. Wir spekulierten, dass es sich bestimmt um eine Klasse der Oberstufe handeln würde, lagen dann aber weit daneben, denn es handelte sich schätzungsweise um eine 8. oder 9. Klasse – die Jungs saßen brav auf der einen, die Mädchen auf der anderen Seite. Watsky bemerkte die Reihen voller Schüler auch sofort nach Betreten der Bühne und meinte prompt, sie sollten besonders bei seiner Geschichte über seine Erfahrungen mit Zauberpilzen zuhören, denn diese sei, so versprach er, „very educational“. Damit sorgte er sogleich für viele Lacher und heimste mühelos die ersten Sympathiepunkte ein. Anschließend bot Watsky auch gleich einmal seine „Spoken Word“-Fertigkeit dar und trug eines seiner Gedichte in rasantem Tempo vor. Ich war enorm beeindruckt und auch das restliche Publikum feierte den Künstler mit begeistertem Applaus und teilweise sogar mit frenetischen „Watsky, Watsky!“-Rufen.

Die eigentliche Lesung begann dann mit Auszügen aus „Stoßzahn“, der ersten Geschichte aus Wie man es vermasselt, die abwechselnd auf Englisch von Watsky selbst und auf Deutsch von einem Mitarbeiter des d.a.i. vorgelesen wurden. Dieses Konzept gefiel mir äußerst gut, da die deutschen Parts somit kürzer und die vom Autor selbst vorgelesenen Textabschnitte etwas länger ausfielen. Bei Roys Lesung waren die deutschen Parts nämlich für meinen Geschmack viel zu lang geraten und umso mehr freute es mich, dass man bei dieser Lesung nun einen gelungenen Mittelweg gefunden hatte. Zwar gab es diesmal kein direktes Gespräch zwischen dem Autor und dem Moderator, doch Watsky erzählte nach den Leseparts oft selbst ein paar Hintergründe zu den jeweiligen Geschichten und beantwortete anschließend allerlei Fragen vom Publikum. So verriet er uns zunächst in aller Vertraulichkeit den wahren Namen von Tante June und erzählte auch, dass die besagte Dame erst vor Kurzem verstorben sei, jedoch stolze 106 Jahre alt geworden sei. Übrigens ist sie wohl sogar mit ihrem geliebten Narwal-Stoßzahn eingeäschert worden – so wichtig war ihr das gute Stück also tatsächlich. Auf die Frage hin, ob er noch einmal so eine waghalsige Aktion starten würde, meinte Watsky, dass er sich jetzt nicht mehr so sicher sei, da er sich nun auch in einer Beziehung befände und auch an andere und nicht nur sich selbst denken müsse und außerdem auch ein verlässlicher Partner sein wolle. Trotzdem denke er seit Neuestem wieder über das in der Kurzgeschichte angesprochene (und immerhin weniger kriminell-anmutende) Abenteuer in der sibirischen Tundra nach und sollte es tatsächlich dazu kommen, würde er uns via Twitter auf dem Laufenden halten, versprach er mit einem Grinsen.

Als nächstes wurden einige Auszüge der sehr persönlichen Kurzgeschichte „Welches Jahr haben wir?“, die von Watskys Epilepsieerkrankung handelt, vorgelesen. Um es Leuten, welche die Geschichte noch nicht gelesen hatten, einfacher zu machen, erläuterte der Autor auch kurz einige der Hintergründe, auf die er in dem Text genauer eingeht (z.B. die familiären Bezüge zu der Krankheit). So erklärte er unter anderem auch, dass er der Überzeugung sei, Epilepsie sei ein Zeichen von Genialität, und dass er sich durch diese Erkrankung außerdem auch seiner Familie noch stärker verbunden fühle. Das Publikum zeigte sich sehr interessiert an der Thematik im Allgemeinen und an Watskys Schicksal im Speziellen, sodass ihm einige Fragen diesbezüglich gestellt wurden. Da für mich diese Geschichte bei der Lektüre von Wie man es vermasselt auch besonders positiv herausstach, fragte ich George Watsky, ob für ihn von Anfang an festgestanden sei, dass dieser sehr persönliche Text unbedingt Teil seiner Kurzgeschichtensammlung sein würde, oder ob er sich zu einem Zeitpunkt eventuell auch unwohl damit gefühlt und Zweifel daran gehabt habe, den Text zu veröffentlichen. Er antwortete, dass es für ihn immer klar gewesen sei, dass die Geschichte mit in die Sammlung aufgenommen würde, da er aufgrund seiner Erfahrungen (u.a. wurde er von seinen Mitschülern „seizure boy“ genannt und es gab damals in der Schule wohl nur eine Schülerin, die nett zu ihm war) und auch seiner Hörerschaft wegen das Thema unbedingt ansprechen wollte. Watsky machte auch deutlich, dass ihm das Ganze mittlerweile auch nicht mehr peinlich sei und er keine Probleme damit habe, über sich selbst zu schreiben. Wenn es allerdings um Informationen über Familie und Freunde ginge, sei er gelegentlich mit moralischen Dilemmas konfrontiert gewesen, weswegen er auch sämtliche Leute, deren Geschichte er in seinem Buch erzählt, vorher um Erlaubnis gefragt habe.

Ein paar Fragen führten dann jedoch auch weg vom Buch und beispielsweise hin zu Watskys Musik oder auch zur Politik. So nahm einer der Schüler scheinbar all seinen Mut zusammen – seine Stimme zitterte nämlich ziemlich – und wollte von dem amerikanischen Künstler wissen, was er denn von Donald Trump hielte. Wie eigentlich zu erwarten war, ist auch Watsky nicht begeistert vom neuen US-Präsidenten: Er bezeichnete ihn als „terrible human being“ und meinte, es sei einerseits sehr deprimierend und entmutigend, dass ein Mensch wie Trump Präsident habe werden können, andererseits sähe er aber auch einen Hoffnungsschimmer in der ganzen politisch motivierten Kunst, die vor diesem Hintergrund momentan entstünde. Emotional wurde es auch, als er von einem Fan auf einen Twitterpost angesprochen wurde, in dem Watsky die Band Linkin Park erwähnt und den er kurz vor dem Tod Chester Benningtons veröffentlicht hatte. Er erzählte, dass er sich nur wenige Tage davor noch mit dem Musiker getroffen habe und eine Kollaboration mit der Band geplant gewesen sei. Das traurige Schicksal seines Kollegen bezeichnete Watsky als eine wahre Tragödie und er erzählte mit stockender Stimme, dass Bennington sonst stets gutgelaunt gewirkt und die ganze Zeit nur von seinen Kindern erzählt habe. Sichtlich mitgenommen schlug er schließlich vor, mit der nächsten Geschichte fortzufahren, um die nun etwas gedrückte Stimmung wieder ein bisschen zu heben.

Damit machte George Watsky dann auch seine Ankündigung vom Anfang wahr, denn er las zum Schluss noch ein paar Auszüge aus seiner Geschichte „Konzerttickets“, in der es um seine Erfahrungen unter dem Einfluss psychoaktiver Pilze geht. Obwohl mir die Geschichte von allen Texten im Buch bei der Lektüre am wenigstens zugesagt hatte, gefiel mir dieser Teil der Lesung dann überraschenderweise sogar am besten: Vorgelesen erschien mir dieser Text viel zugänglicher, was eventuell daran lag, dass Watsky die Geschichte beinahe wie ein Gedicht vortrug und durch seine Intonation und sein Vorlesetempo die Sogwirkung des Textes, die durch die teilweise sehr langen Sätze entsteht, viel besser zur Geltung kam. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob die Kids in den ersten Reihen viel von Watskys „Bildungsmaßnahmen“ mitgenommen/verstanden haben (obwohl das vielleicht auch ganz gut so ist 😉 ), aber er schien so oder so einen guten Eindruck auf sie gemacht zu haben: Die Schüler zeigten sich ganz begeistert, als er der Bitte einer der Schülerinnen nachkam, etwas a capella zu rappen, und ich hörte, wie nach der Lesung eines der Mädchen ihren Freundinnen mit Bedauern mitteilte, dass Watsky ja vergeben sei (ich konnte mir ein Schmunzeln kaum verkneifen).

Sozusagen als kleines Schmankerl zum Abschluss trug Watsky dann noch sein Gedicht „Drunk Text Message to God“ (einen Ausschnitt davon könnt ihr übrigens auf meinem Instagramprofil sehen) vor und performte es mit vollen Körpereinsatz – eine witzige und eindrucksvolle Darbietung, mit der er seinen kreativen Umgang mit Worten und seine Sprachkünste nochmals meisterlich vorführen konnte. Mit seinen Gedichten und den Leseparts, aber auch mit seinen ausführlichen und reflektierten Antworten und nicht zuletzt mit dem kleinen Small Talk, den er während der Signierstunde mit jedem führte, schaffte es George Watsky mit links, mich von seinem Talent zu überzeugen und mich auch auf seine andere künstlerische Arbeit neugierig zu machen. Auf der Heimfahrt hörte ich mir dann auch gleich ein paar seiner Songs an und ich denke, ich kann jetzt guten Gewissens behaupten, dass Watsky nun mindestens einen begeisterten Fan mehr hat.

Was mich nun interessiert: Habt ihr George Watskys Buch gelesen oder kennt ihr seine Musik?
Und mögt ihr Poetry Slams? Lasst es mich gerne in den Kommentaren wissen!

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