Bericht: Frankfurter Buchmesse am 20. Oktober 2022

FBM für Kurzentschlossene – Teil 1/3

Drei lange Jahre lag die letzte Buchmesse für mich – wie auch für viele andere Buchmenschen -– mittlerweile zurück. Die Leipziger Buchmesse musste in der Zwischenzeit pandemiebedingt komplett pausieren (abgesehen davon hatte ich diese bisher ja auch noch nie besucht) und auf einen Besuch der Frankfurter Buchmesse 2021, die unter strengen Corona-Auflagen hybrid und mit deutlich weniger Aussteller:innen stattfand, habe ich verzichtet. Da ich für 2022 von einer möglicherweise ähnlich abgespeckten Version ausgegangen war, hatte ich mich ursprünglich auch gegen den Besuch der diesjährigen Frankfurter Buchmesse entschieden und in der Annahme, auch diesmal nicht allzu viel zu verpassen, fröhlich andere Dinge (wie beispielsweise einen Konzertbesuch in Zürich am theoretisch ersten Messetag) geplant. Nachdem ich dann jedoch etwa zwei Wochen vor Messebeginn immer mehr Programmeinblicke bekam und sah, dass ein paar meiner liebsten Autor:innen vor Ort sein würden, der Lieblingsverlag dort sein 70. Jubiläum mit einer hochkarätigen Veranstaltung feiern würde und viele liebgewonnene Bloggerkolleg:innen die Messe besuchen würden, veranlasste mich die sogenannte „FOMO“ (Fear of Missing Out, dt. die Angst, etwas zu verpassen), eine 180-Grad-Kehrtwendung einzulegen und mich last minute um die An- und Abreise sowie eine Unterkunft zu kümmern. Und was soll ich sagen? Ich bereue diesen Spontantrip und damit verbundenen kurzfristigen Planungsstress kein bisschen, denn nach all den wunderbaren Dingen, die ich in diesem Jahr auf der Frankfurter Buchmesse erleben durfte, bin ich so froh und dankbar, mich doch noch umentschieden zu haben. Aber erstmal der Reihe nach…

Messetag 1

Aufgrund des bereits erwähnten Konzertbesuches am Vorabend und einer kurzfristigen Fahrplanänderung der Bahn, dank der ich einen früheren Zug nehmen musste, ging es am Messedonnerstag mit deutlich zu wenig Stunden Schlaf im System auf Richtung Frankfurt. Dort kam ich dann auch irgendwann nach einer letztendlich rund siebenstündigen, teilweise recht nervenaufreibenden  Anreise an, Aktenzeichen-XY-würdige Verfolgungsszenen am Offenburger Hauptbahnhof (ich war glücklicherweise nicht involviert, keine Sorge) und ein unfreiwilliger 40-minütiger Zwischenstopp im ICE kurz darauf wegen Personen auf der Fahrbahn (man kennt’s…) inklusive, weshalb ich mich auch für einen kurzen Moment – wie schon bei den vergangenen drei Messebesuchen – mal wieder typisch zu spät zu meinem ersten geplanten Termin kommen sah. Zum Glück hatte ich jedoch genug Puffer eingeplant und so stand ich dann kurz nach 14 Uhr mitten im Trubel auf der Agora der Frankfurter Buchmesse, nahm einen ersten tiefen Atemzug des verheißungsvollen Bücher- und Messepommes-Duftes ein und konnte es wirklich kaum fassen, endlich wieder hier im Büchermekka zu sein!

Diogenes Talk oder: Der Autor:innen-Olymp

Denis Scheck (links) und Philipp Keel (Mitte) im Gespräch mit Donna Leon, Shelly Kupferberg, Andrej Kurkow und Irene Vallejo (v.l.n.r.).

Nachdem ich Koffer und Mantel abgegeben und mich kurz gestärkt hatte, wagte ich bereits einen Blick in den Frankfurt Pavilion, wo in etwa einer halben Stunde mein erstes Messehighlight stattfinden sollte: Der Diogenes Talk. Noch schien es hier im Rahmen einer Podiumsdiskussion um Russland und die Ukraine zu gehen – ich war zu diesem Zeitpunkt noch nicht so richtig aufnahmefähig –, aber es hatten sich schon zahlreiche Interessierte in den Eingangsbereichen des Pavilions versammelt und kaum war die vorangehende Veranstaltung beendet, waren die Sitzreihen auch schon wieder restlos gefüllt. Aber kein Wunder war der Andrang so groß, schließlich hatte der Diogenes Verlag  mit einer absoluten Spitzenbesetzung an Autor:innen zur Feier seines 70-jährigen Bestehens eingeladen: Verleger Philipp Keel und Moderator Denis Scheck teilten die Bühne mit Shelly Kupferberg, Andrej Kurkow, den beiden Ladies of Crime Donna Leon und Ingrid Noll, Stefanie vor Schulte, Irene Vallejo, Solomonica de Winter und – last but not  least! – Benedict Wells. 

(v.l.n.r.) Denis Scheck, Ingrid Noll, Philipp Keel, Solomonica de Winter, Benedict Wells und Stefanie vor Schulte.

In zwei Runden mit jeweils vier Autor:innen auf der Bühne ging es zunächst, ähnlich wie bei den vergangenen Talk-Ausgaben 2018 und 2019, um den Verlag allgemein und Keels Arbeit als Verleger, aber auch konkret um seine Beziehung zu den jeweiligen Autor:innen und wiederum deren persönlichen Bezug zum Schweizer Verlagshaus. Denis Scheck legte eine hervorragende Gabe an den Tag, mit originellen und pointierten Fragen Philipp Keel auf den Zahn zu fühlen und ihm mit viel Humor das ein oder andere Verlagsgeheimnis zu entlocken. So bekannte sich Keel – in Schecks exakter und treffender Wortwahl – als „tatsächlich meschugge“, als Künstler einen Verlag gegründet zu haben, und gab schmunzelnd zu, schon genug Masochist zu sein, dass er diesen Verlag überhaupt leite. Keel erklärte, dass es für Diogenes charakteristisch sei, das zu machen, was ihnen gefalle, und sich die Freiheit zu nehmen, das zu machen, was ihnen gefalle, auch wenn das nicht immer der wirtschaftlichste Ansatz sei. Auf Schecks Frage hin, was sein bisher größter Fehler gewesen sei, entgegnete der Verleger keck: „Das verrate ich Ihnen nicht, denn Fehler passieren täglich.“ Wiederum nach dem bisher größten persönlichen Triumph gefragt, lautete die Antwort des sichtlich glücklichen und zufriedenen Verlagschefs: „Dass wir nach all der Zeit immer noch hier sind.“ Darauf erntete er – völlig zurecht – lautstarken Beifall. Aber nicht nur die Zuhörer:innen und der Verleger, sondern auch die Diogenes-Autor:innen kamen aus dem Schwärmen nicht mehr heraus: Die spanische Schriftstellerin Irene Vallejo würdigte Übersetzer:innen als „die ungenannten Held:innen der Buchbranche“ und beteuerte ihre Liebe für „readers and books, because they’ve changed my life“, Benedict Wells freute sich darüber, nach 14 Jahren (es war damals seine erste Lesung auf der Buchmesse) wieder auf derselben Bühne zu stehen wie Ingrid Noll und Donna Leon sowie Andrej Kurkow zeigten sich restlos begeistert von der Schweizer Schokolade, dem Schweizer Käse und – speziell in Leons Fall – deren Erzeugern, den Kühen. 

Als die nicht ganz so heimlichen Stars der Talkrunde taten sich die beiden Grandes Dames des Krimis, die 87-jährige Noll und 80-jährige Leon, hervor, mit denen sich Denis Scheck zuweilen launige und gewitzte Wortgefechte lieferte. So stellte Scheck beispielsweise über die US-amerikanisch-schweizerische Schriftstellerin Leon fest, dass ihr Verhältnis zu ihrer berühmten Ermittlerfigur Comissario Brunetti ja mittlerweile fast einer Ehe gleiche, und fragte sie, ob sie nicht schon einmal über Scheidung nachgedacht hätte. „No, because I would be left without a penny, wouldn’t I?“, antwortete sie trocken. Auf Ingrid Nolls Äußerung hin, sie sei eine alte Hexe, wollte Scheck von ihr wissen, ob er nun Angst haben müsse. Nolls augenzwinkernde Antwort: „Unbedingt!“ Und als sie gefragt wurde, ob sie heute schon darüber nachgedacht habe, jemanden umzubringen, konterte sie fix „In diesem Moment!“ und erntete dafür laute Lacher aus sämtlichen Reihen. Auch wenn ich bisher weder von Noll noch von Leon etwas gelesen habe (ich gelobe baldige Besserung!), haben die beiden Ladies mit ihrer coolen, spitzzüngigen Art mein Herz im Sturm erobert – ich war völlig hingerissen! Aber natürlich verzückte auch Benedict Wells, ohnehin Everybody’s Darling, wie immer mit seinen Schilderungen und so erzählte er beispielsweise gestikulierend und Stimmen gekonnt imitierend von dem Moment, als er den langerträumten Anruf von Verlagsgründer Daniel Keel erhalten hatte, und beschrieb, wie er davor von Autor:innen wie dem von ihm so bewunderten Joey Goebel gelesen hatte, die erfolgreich bei Diogenes gelandet waren, und es sich für ihn wie eine Szene aus einem Dickens-Roman angefühlt habe, quasi draußen in der Kälte zu stehen und durch das Fenster einer Familie beim festlichen Mahl in der warmen Stube zuschauen zu müssen. Ein Bild, das, wie ich finde, auch gut zu der gelungenen Veranstaltung passte, schließlich erlaubten uns der Verleger und seine acht Autor:innen, die in der Tat wie eine große Familie wirkten, ebenfalls einen Blick durch das geöffnete Fenster ins Hause Diogenes und ließen die Zuhörer:innen etwas von der Wärme, die dort ganz offensichtlich herrscht, spüren – und zur Feier des Tages gab es für die ganz Glücklichen beim Verlassen des Pavilions sogar noch ein Präsent!

Wenn die Kollegin beim Kollegen in der Signierschlange steht.

Bei Letzterem gehörte ich zwar zu den zu Langsamen, aber das sollte meine Laune an diesem Nachmittag nicht trüben. Beseelt machte ich mich zusammen mit Ursula (lese_verliebt) und Lisa (the.literarycorner) auf zum Messestand von Diogenes, wo noch gebührend auf das 70-jährige Jubiläum angestoßen werden sollte. Und während die Krimilegenden Noll und Leon recht unbehelligt durch die Gänge huschen konnten, bildete sich wieder – wenn auch nicht im selben Ausmaß wie 2018 – eine Schlange für keinen Geringeren als Signier-Großmeister Benedict Wells, der sich wie immer ins Zeug legte, sämtliche (Signier-)Wünsche, im Übrigen auch die von Verlagskolleginnen wie Stefanie vor Schulte, zu erfüllen: Das sollte, wie sich bald herausstellte, jedoch nicht nur das Schreiben von liebevollen Widmungen beinhalten, sondern auch das Auftreiben von Papiertüten. So unterbrach eine offensichtlich nichtsahnende Messebesucherin den an der Theke des Messestandes signierenden Schriftsteller bei seinem eifrigen Tun kurzerhand mit der Frage, ob es hier denn Papiertüten gäbe. Mit dem Exemplar, das Wells unter der Theke auf die Schnelle finden konnte, war diese jedoch nicht zufrieden und verlangte wirsch eine größere Tüte. Nach einer kurzen verzweifelten Suche und der eher scheuen Äußerung, dass er ja eigentlich nicht an dem Stand arbeite, eilte eine Verlagsmitarbeiterin Wells zur Hilfe und die Dame zog mit dem Objekt ihrer Begierde – einer großen Diogenes-Papiertüte, mind you! – von Dannen. Für mich zum einen eine absurd komische Szene, bei der ich ob ihrer Kuriosität kurz ein Lachen unterdrücken musste (wie konnte diese Frau nicht wissen, welchen Autor sie da gerade so grob beim Signieren unterbrochen hatte?), zum anderen mal wieder ein Beweis für Benedict Wells’ schier unendliche Engelsgeduld und Freundlichkeit. Dafür gab’s dann am darauffolgenden Tag ja auch einen wohlverdienten Preis, aber dazu später mehr.

Nachdem ich mir zum Abschluss noch Andrej Kurkow, der ebenfalls noch am Diogenes-Stand weilte, seinen Roman Graue Bienen signiert hatte, ging der erste, zwar recht kurze, aber umso intensivere erste Messetag für mich dann auch zu Ende. Nun hieß es auch erstmal, etwas Schlaf nachzuholen, denn am folgenden Messefreitag standen einige Termine an, die ein paar wunderbare und aufregende Momente für mein Leserherz bereithalten sollten.

– To be continued – 

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