Bericht: ausLESE mit Mariana Leky am 10. April 2019 in Konstanz
Ein kurzweiliger literarischer Spaziergang durch Lekys Gesamtwerk
„‘Über das Schreiben und Verlegen‘, das klingt doch spannend!“ – so oder so ähnlich waren meine Gedanken, als ich mich letztes Jahr auf der LitBlogCon in Köln für eine erste Session entscheiden musste. Zugegeben, ich war auf diesen Programmpunkt damals auch vor allem neugierig, weil einer der Gesprächsgegenstände dieser eine Roman war, über den damals gerade jeder gesprochen hat, den ich allerdings noch nicht gelesen hatte – aber ich wollte ja wenigstens mitreden können. Das Buch habe ich danach auch noch gelesen, war jedoch (zumindest von der Geschichte) nicht so sehr begeistert, wie wohl die meisten anderen LeserInnen. Die Sprache und der Schreibstil hatten mir aber sehr zugesagt und auch die Session auf der LBC hatte ich in so guter Erinnerung, dass ich mit dem Ticketkauf nicht lange überlegt habe, als ich erfuhr, dass Mariana Leky in dieser Saison zur ausLESE nach Konstanz kommen würde. Wieso ich so weit ausgeholt habe? Weil sich mit dieser Veranstaltung auch in gewisser Weise ein Kreis geschlossen hat: Die Session auf der LBC war die erste literarische Veranstaltung, die ich in meinem Notizbüchlein, das ich in solchen Fällen immer dabei habe, dokumentiert habe, und mit den Notizen zur ausLESE habe ich davon nun (fast) die letzten Seiten gefüllt. So kam es also, dass ich diese sympathische Autorin knapp ein Jahr später wiedergesehen habe und dank der ausLESE noch etwas besser kennenlernen durfte.
Vielleicht ist es dem einen oder anderen bereits aufgefallen: Ich habe bis hierhin vermieden, das Wort „Lesung“ zu verwenden – und zwar deshalb, weil die Veranstaltung mit Mariana Leky am vergangenen Mittwoch im Kulturzentrum am Münster in Konstanz keine (klassische) Lesung war. Denn bei der sogenannten „ausLESE“ handelt es sich um ein ganz besonderes Format, eine Lese- und Gesprächsreihe, zu der alle paar Monate ein Gast aus der Literaturbranche bzw. der Kulturszene eingeladen wird, mit dem die Moderatorin Judith Zwick über das Lesen, die Literatur bzw. den eigenen Bezug dazu und die Arbeit damit spricht. Ist der jeweilige Gast eine Autorin bzw. eine Autorin, steht an dem Abend auch nicht nur ihr oder sein aktuellstes Buch, sondern das Gesamtwerk im Fokus und es wird demnach aus verschiedenen Werken gelesen. Eine tolle Idee, wie ich finde. Dank dieser „Gesamtschau“ habe ich dann auch gleich zu Beginn der ausLESE gelernt, dass Mariana Leky bereits fünf und nicht, wie ich ursprünglich dachte, erst drei Bücher geschrieben hat. Ihr erstes Buch, ein Erzählband mit dem Titel Liebesperlen, erschien 2001 bei Dumont – damit sei die Autorin in diesem Jahr auch „literarisch erwachsen“ geworden, wie Judith Zwick eingangs bemerkte. Während mich jedoch die Anzahl der bereits veröffentlichten Bücher der Autorin überraschte, schien dieselbe eher enttäuscht davon: „Ich hätte jetzt irgendwie gedacht, dass es mehr seien. Das ist ja nicht unbedingt eine große Ausbeute… Was habe ich in der ganzen Zeit eigentlich gemacht?“, wunderte sie sich und ihre Gesprächspartnerin entgegnete, dass sie das nun gemeinsam ergründen würden. Damit waren die ersten Lacher im Publikum garantiert und ähnlich gutgelaunt, humorig und dynamisch setzten die beiden die Unterhaltung fort.
Nach ihren ersten Schritten auf dem Weg zur Schriftstellerei gefragt, erzählte Mariana Leky, dass sie bereits mit acht Jahren Märchen geschrieben habe, die von schönen Schwänen und Ähnlichem handelten. „Das ein oder andere Plagiat war da wahrscheinlich auch dabei“, ergänzte sie lachend. Es dauerte aber nicht lange, bis sie eine andere Quelle der Inspiration für ihre ersten Texte fand: die Gespräche zwischen ihren Eltern, in denen es um deren Arbeit ging. Als sie genauer auf die Berufe ihrer Eltern einging, musste die Autorin selbst grinsen: „Meine Mutter ist Psychotherapeutin, mein Vater Psychoanalytiker – ich sag’s lieber gleich.“ Und tatsächlich erscheinen einem manche Textstellen oder Umstände in Lekys Geschichten vor diesem Hintergrund in einem ganz anderen/neuen Licht. Die Autorin erzählte, dass sie damals viel Spaß daran hatte, Leute zu beobachten, auch wenn diese gar nicht da gewesen seien, und Biografien weiterzuschreiben – ein denkbar guter Grundstein für eine Laufbahn als Schriftstellerin. Schließlich studierte Leky Germanistik und Empirische Kulturwissenschaften in Tübingen und besuchte das „Studio Literatur und Theater“, bevor sie an die Uni Hildesheim wechselte und sich dort für den Studiengang „Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus“ einschrieb, auch wenn ihre Eltern langsam immer nervöser geworden seien, „weil man damit ja nix anfangen konnte“, fügte sie grinsend hinzu. Doch der Studiengang erwies sich als der richtige Weg: Das Vorlesen ihrer Texte vor ihren Kommilitonen und deren Kritik sowie die Ratschläge von Lektoren, Autoren und Journalisten, die die Seminare besuchten und vom wahren Leben in den Berufen erzählten, brachten die junge Schriftstellerin weiter. In einem der Seminare traf Leky schließlich auf Jo Lendle, der damals als Lektor bei Dumont arbeitete und von ihrer Erzählung „Lebensversicherungen“, die sie im Rahmen der Lehrveranstaltung geschrieben hatte, begeistert war. „Er fragte mich, ob ich noch mehr davon hätte, und ich sagte ‚Ja!‘, obwohl ich sonst nichts hatte“, schilderte Mariana Leky und musste dabei selbst über sich lachen. Aus weiteren Erzählungen, die sie dann noch schrieb, entstand der Erzählband Liebesperlen. Damals habe sie, wie ihr bei der Vorbereitung für die Veranstaltung aufgefallen sei, schön schreiben wollen und Dinge gerne offen gelassen, doch das habe sie zum Glück später sein gelassen, erklärte Leky und schlug kurz darauf denselben selbstironischen Ton an, als sie ihren ersten Lesepart ankündigte: „Ich lese das jetzt auch zum ersten Mal seit gefühlten hundert Jahren, hoffentlich bricht nicht gleich jemand von uns in Tränen aus.“
Außer ihrem neuesten Roman Was man von hier aus sehen kann hatte ich bisher keine anderen Texte von Mariana Leky gelesen, doch „Lebensversicherungen“ gefiel mir auf Anhieb. In der Erzählung geht es um eine Frau, die einer Beziehung hinterhertrauert, die in die Brüche gegangen ist. Trotz des eher schweren Themas ist der Text sehr humorvoll – das Publikum lachte gefühlt im Minutentakt oder sogar in noch kürzeren Abständen. Für mich machte hier (sowie bei den anderen zwei Leseparts) auch die Art und Weise, wie die Autorin ihre Texte vorlas, viel aus: Mariana Leky liest mit einer wunderbar angenehmen Samtstimme, klingt dabei völlig unaufgeregt und verpasst ihren Texten damit einen fast schon nüchternen Ton, der sie – zumindest für mich – aber nur noch witziger macht, als sie es ohnehin schon sind. Dadurch war es ein wahres Vergnügen, der Autorin beim Vorlesen zuzuhören.
Nach diesem ersten Lesepart sprach Judith Zwick die Autorin auf ihre Protagonisten und deren auffällige Gemeinsamkeiten an: Lekys Hauptfiguren haben oft (eine) bestimmte Macke(n) und werden mit Ereignissen konfrontiert, die sie aus dem Tritt bringen – häufig sind es sogar ganz große, existenzielle Ereignisse (z.B. der Tod), die Lekys Protagonisten aushalten müssen. Immer wieder würden ihre Figuren als „windschief“ und mit einer „problematischen Ausgangslage“ charakterisiert, ob das denn tatsächlich auf ihre Protagonisten zutreffe, wollte Zwick von ihrem Gast wissen und verwies auf ein bekanntes Zitat des Dichters Joachim Ringelnatz: „Ich bin etwas schief ins Leben gebaut.“ Diese Beschreibung passe sehr gut zu ihren Charakteren, erklärte die Autorin, denn sie seien oftmals angeknackst und stünden deshalb nicht gerade da, würden dann aber geradegerückt, weil sie es aufgrund der Umstände müssten. Nicht selten bekomme sie aber auch zu hören, dass ihre Figuren skurril seien, erzählte Leky etwas ungläubig. „Das finde ich allerdings nicht, ich kenne ja Leute, die auch genau so sind. Sowieso ist Skurrilität für mich nichts Außergewöhnliches, sondern bis zu einem gewissen Grad sogar ganz normal“, führte sie weiter aus.
So, wie Kritiker Lekys Figuren oft die Attribute „windschief“ und „skurril“ zuwiesen, ordneten manche von ihnen ihre Werke wegen der vielen märchenhaften und fantastischen Elemente mittlerweile sogar dem magischen Realismus zu, merkte Judith Zwick an. Hierzu erklärte die Autorin, dass sie es liebe, in Büchern auf magische Momente zu stoßen, die nicht esoterisch anmuteten, und es ihr deshalb Spaß bereite, solche Szenen auch in ihre Romane einzubauen. „Das Fantastische muss jedoch etwas Nebensächliches sein, und das hinzubekommen, ist eine Gratwanderung“, betonte Leky. Quasi als Veranschaulichung dieses Drahtseilakts diente dann das Kapitel „Astronauten“ aus ihrem Roman Die Herrenausstatterin, welches die Autorin kurz darauf vorlas. Die Geschichte drehe sich um eine Frau, die an einem „Wackelkontakt zur Realität“ leide und in deren Leben plötzlich zwei (neue) Männer treten, fasste Leky die Handlung knapp zusammen. Als sie sich auf die ausLESE vorbereitete, sei ihr auch aufgefallen, dass ihr Protagonistinnen immer von Männern verlassen würden, damit „andere Typen um die Ecke kommen können“. „Außerdem kommen echt viele Psychopharmaka in meinen Büchern vor, wie mir jetzt bewusst wird. Vielleicht sollte ich irgendwann doch einmal einen Selbstversuch starten“, lachte die Autorin und schlug den Roman auf.
Der dritte Teil der etwa neunzigminütigen Veranstaltung sollte sich schließlich um Mariana Lekys jüngstes Werk, ihren Bestsellerroman Was man von hier aus sehen kann, drehen. Geschlagene 65 Wochen stand das Buch auf der Spiegel-Bestsellerliste, mittlerweile wurden auch schon die Filmrechte für den Roman verkauft – da hätten sie die letzten beiden Jahre bestimmt verändert, erkundigte sich Judith Zwick bei ihrem Gast. „Um mit Klagen auf ganz hohem Niveau zu beginnen: Ich kann gerade immer noch an nichts anderes denken“, erwiderte Leky. „Da passieren Dinge, von denen man sonst nur träumen kann“, schilderte sie und erklärte, dass weder sie noch der Verlag mit einem derartigen Erfolg gerechnet hätten. Denn eins stünde fest: Ob ein Buch zum Bestseller wird, das könne man nicht vorhersehen. Zwei „Zutaten“ des Romans, auf die die beiden Gesprächspartnerinnen dann noch zu sprechen kamen, dürften aber sicherlich enorm zu dessen Beliebtheit beigetragen haben: Einmal die Tatsache, dass er von der – wie es Zwick nannte – „Verwobenheit der Metaphern“ lebt, sowie auch seine große Figurenbezogenheit. In diesem Zusammenhang erzählte die Autorin auch, dass sie die Figuren oft lange vor der Handlung im Kopf habe, wobei sie generell etwa jeweils fünf Jahre brauche, um sich die Charaktere und den Plot zu überlegen. „Da kann es schon mal vorkommen, dass Figuren manchmal wie an einer Bushaltestelle stehen und warten, bis ich sie abhole“, schilderte Mariana Leky anschaulich. Bei dem im Roman so präsenten Okapi war es womöglich auch so, denn die Autorin erklärte, dass sie dieses Tier schon immer einmal in einen ihrer Romane habe einbauen wollen und bei ihrem neuesten Werk dann endlich ihre Chance kommen gesehen habe.
Ihr dritter und letzter große Lesepart, das Kapitel „Ein bislang unentdecktes Landsäugetier“, drehte sich allerdings nicht um Okapis, sondern um einen Hund, und war sehr amüsant. Ich bin mir nicht sicher, ob der Roman wirklich so komisch ist (derart witzig habe ich ihn nämlich gar nicht in Erinnerung) oder ob es an Mariana Lekys herrlich trockenem Erzählton lag, aber ich musste auf jeden Fall etliche Male herzlich lachen. Überhaupt kann ich mich auch nicht daran erinnern, jemals so viel auf einer literarischen Veranstaltung gelacht zu haben – mir taten zeitweilig vor lauter Schmunzeln sogar ein bisschen die Backen weh.
Als besonderes Bonbon las Mariana Leky dem begeisterten Publikum noch die Liebesbriefe des Optikers an Selma vor – eine witzige, jedoch auch etwas melancholische Textpassage, die stellvertretend für den Roman steht und ein perfekter Abschluss für die kurzweilige ausLESE mit dieser bezaubernden und aufgeweckten Autorin bildete.
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Kommentare
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Die Briefe des Optikers waren für mich ein Highlight des Romans 🙂
Liebe Anette,
so ging es mir auch. Finde das Einstreuen von Briefen bzw. Ausschnitten davon in Romanen immer wieder schön, das fand ich z.B. auch in “Olga” von Bernhard Schlink so toll. 🙂
Viele Grüße
Elena