Rezension: „Alle sind so ernst geworden“ von Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre

Fast genial daneben

Dass er einen feinen Sinn für Humor besitzt und ein wahrer Meister der Worte ist, das beweist der Schweizer Autor Martin Suter immer wieder in seinen zahlreichen Romanen und Kolumnen. In Interviews und Lesungen wird zudem deutlich, dass Suter ein angenehmer, offener und auch durchaus launiger Gesprächspartner zu sein scheint, der – laut eigener Aussagen – selbst nie lange ernst bleiben kann. Mit seinem Schriftstellerkollegen Benjamin von Stuckrad-Barre, bekannt für sein Debüt Soloalbum sowie seinen autobiografischen Roman Panikherz, hat er nun offenbar einen Gleichgesinnten gefunden, der genauso gerne mit Wörtern und Formulierungen jongliert, Freude am Fabulieren hat und es mit dem Ernstnehmen ebenfalls nicht so eng zu sehen scheint. Was dabei rauskommt (und wie es aussieht), wenn sich dieses auf den ersten Blick doch recht ungleiche Paar zu einem munteren Plausch zusammensetzt, kann man nun in dem rund 270 Seiten starken Buch mit dem passenden Titel Alle sind so ernst geworden nachlesen. Suter und Stuckrad-Barre unterhalten sich darin über allerlei eher kleine als große Themen und wandeln dabei beeindruckend geschickt auf einem bisweilen recht schmalen Grat zwischen Genialität und Klamauk.

Eben extra entgegengesetzt zum Motto des Buches mutet der Großteil der sechzehn Gesprächsthemen, die in dem Buch versammelt sind, alles andere als ernst, sondern zunächst ziemlich oberflächlich an: Bei einem lockeren Schwatz über (un-)angemessene (Schwimm-)Bekleidung wärmen sich die beiden auf, gehen dann zu einer Besprechung der richtigen Konsistenz von Glitzer über, geben erstaunlich einleuchtende Stellungnahmen zur Bedeutung des Füllwortes „Äähm“ im deutschen Sprachgebrauch ab, schwelgen in guten wie auch weniger guten Erinnerungen in Verbindung mit der Baleareninsel Ibiza, versuchen sich an einer mehr oder minder ernsthaften Unterhaltung über, aber vor allem mit Siri, und geben beim Plausch über Themen wie „Fotos“ und das „Mundharmonikaspielen“ nicht nur ihre fröhliche Natur besonders zum Besten, sondern lassen auch mal ihre musikalische Seite aufblitzen – auch ganz ohne Mundharmonika. Zwischendurch schlagen Suter und Stuckrad-Barre jedoch auch überraschend leise Klänge an und begeben sich beim Austausch über ihre – beim einen kaum vorhandenen, beim anderen sehr konkreten – Drogenerfahrungen, die Religion und den Glauben, das Bezahlen beziehungsweise Aufschieben von Rechnungen/Mahnungen und letztlich auch über die Liebe und das Verliebtsein von den eher seichteren Uferzonen in etwas tiefere Gewässer.

Damit deckt das Gesprächsduo eine abwechslungsreiche, größtenteils durchaus interessante inhaltliche Bandbreite ab, die für jeden Leser etwas nach dessen Geschmack anzubieten haben dürfte, und geben dabei zumeist laute, beschwingte und bisweilen recht energische, aber dazwischen eben auch immer wieder gedämpftere und bedachtere Töne an. Wobei die Rollenverteilung hier klar geregelt zu sein scheint: Benjamin von Stuckrad-Barre ist für die grellen, kräftigeren, Martin Suter für die sanften, harmonischeren Nuancen zuständig. Während der 72-jährige Schweizer in den Gesprächen wohl auch aufgrund seiner größeren Lebenserfahrung einen überlegteren, zurückhaltenderen, ja fast schon geerdeten und allgemein gediegenen Eindruck macht, wirkt sein deutlich jüngerer Autorenkollege im Vergleich oft hektischer, mitunter sogar selbstbezogener und alles in allem dominanter und damit auch anstrengender, sodass man als Leser oftmals froh ist, dass er seinen geduldigen Gegenüber überhaupt zu Wort kommen lässt und die eigentlichen Zwiegespräche nicht in endlose Monologe Stuckrad-Barres ausufern. Zum Glück kann Suter dem „jungen Wilden“ jedoch die Stirn bieten und glänzt bei seinen schlagfertigen Kontern mit viel Charme und einem guten Gespür für feine Ironie.

Am meisten Spaß macht die Lektüre allerdings, wenn sich das Duo in der Mitte trifft, nämlich auf dem Terrain, das sie beide wohl am besten kennen und wo sie sich am wohlsten zu fühlen scheinen: Das Autorendasein. Und so kommen sie bei einem Großteil der Gespräche immer wieder auf das Thema Schreiben zurück, frönen der deutschen Sprache, feilen gemeinsam an Formulierungen oder gar Wortneuschöpfungen und liefern sich ab und an sogar vergnügte buchstäbliche Wortgefechte – teils auch an unerwarteten Stellen, was sprachbegeisterte Leser besonders freuen dürfte. Dabei begeben sich Suter und Stuckrad-Barre gelegentlich auch in den Schweizer Sprach- und Kulturraum und diese Gesprächsmomente lernt man, besonders wenn man in Grenznähe lebt, schnell zu schätzen, weil sie nicht nur ziemlich unterhaltsam, sondern vor allem sehr lehrreich sind.

So pflegen Suter und Stuckrad-Barre in ihren Unterhaltungen zwar auch ihre Unterschiede und jeweiligen Eigenheiten, bringen dabei aber gerade ihre Gemeinsamkeiten zum Vorschein und es wird (nicht nur im letzten Kapitel „Wiedersehen“) deutlich, wie groß die Achtung füreinander sowie für das jeweilige Schaffen des anderen zu sein scheint. Ihren Anfang nahm diese Freundschaft (angeblich) bei einem zufälligen, (glaubt man ihren Erzählungen) fast schon legendären Treffen der beiden Autoren in einem Hotel an der Ostsee – in nichts weniger bekleidet als in bunten Badehosen! Ein eher ungewöhnliches Bild, kennt man doch gerade Martin Suter ausschließlich im feinen Anzug. Und warum er gerade auf diese Art der Bekleidung setzt, erfährt der Leser obendrein auch, denn Benjamin von Stuckrad-Barre weiß, wie er seinem Gegenüber das eine oder andere Geheimnis oder so manche peinliche Anekdote entlockt – und umgekehrt. Und so gewähren Suter und Stuckrad-Barre ihren Lesern auch immer wieder überraschend private, fast intime Einblicke in ihre Leben, dank derer man die Menschen hinter den Büchern (nochmals neu) kennenlernen, aber auch die Werke selbst aus einem anderen Blickwinkel betrachten kann. Ein unerwarteter, aber angenehmer und vor allem sehr bereichernder Nebeneffekt beim Verfolgen der Dialoge. Und so haben sich die beiden Autorenfreunde offensichtlich viel, aber beim Blick auf so manche Themenwahl absurderweise teilweise auch nicht wirklich etwas zu sagen – und das hat wiederum seinen ganz eigenen Reiz. In der Tat fast genial.

Irgendwie genial, aber auch ein bisschen daneben beziehungsweise „drüber“ wirkte im Übrigen die groß aufgezogene Werbekampagne für das Buch, an der man vor allem auf Instagram in der Zeit um die Veröffentlichung kaum vorbeikam: Hier rekrutierte scheinbar Stuckrad-Barre, selbst großer Social Media-Nutzer, bekannte Persönlichkeiten aus der (teils doch recht weitgefassten) Musik- und Medienbranche wie Jan Hofer, Axel Milberg oder Barbara Schöneberger, die  den Buchtitel auf ihre ganz eigene, zum Beispiel im Falle von Jan-Josef Liefers oder Matthias Brandt mitunter auch ziemlich geniale Art in kleinen Videoschnipseln interpretierten. Irgendwann war mit der schier endlosen Bilderflut aber auch knapp die Grenze erreicht, bis der Moment immer gerade noch irgendwie gerettet wurde. Und so verhält es sich auch beim Lesen der Gespräche zwischen Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre: Auch diese ufern immer wieder soweit aus und/oder grenzen thematisch teilweise derart ans Banale, dass man manchmal tatsächlich kurz mit dem Gedanken spielt, ein paar Seiten zu überspringen oder gleich zum nächsten Kapitel überzugehen, aber letzten Endes schaffen es die beiden  dann doch immer noch (auch wenn die Rettung manchmal eben von Suter abhängt), das Gespräch wieder einzufangen und auf geordnete Bahnen zu lenken. Auf diesen durchaus gewagten, fast genial daneben gegangenen Balanceakt, den Suter und Stuckrad-Barre in Alle sind so ernst geworden mit viel Raffinesse vollführen, hat die Literaturwelt zwar vielleicht nicht gewartet, aber sie wird dadurch auf jeden Fall bereichert.

Werbung – Vielen Dank an dieser Stelle an den Diogenes Verlag für das Leseexemplar und die Möglichkeit, dieses Buch besprechen zu dürfen.

Kommentare

Kommentar verfassen

Ich akzeptiere die Datenschutzbestimmungen.