Bericht: Lesungskonzert von Benedict Wells und Thees Uhlmann am 11. September 2022 in Zürich

“Bruce, der Tod und wir”

Der eine hatte erst vor einigen Monaten seinen Debütroman Sophia, der Tod und ich veröffentlicht, der andere jüngst seinen mittlerweile vierten Roman Vom Ende der Einsamkeit, der auch bald zum Bestseller avancieren sollte – da trafen Thees Uhlmann und Benedict Wells zum ersten Mal bei der lit.cologne 2016 aufeinander. Die Bühnenbegegnung zwischen dem norddeutschen Musiker/Neuautor und dem deutsch-schweizerischen Schriftsteller verlief schließlich so positiv, dass es fünf Jahre später auf der lit.cologne 2021 eine Wiederholung des Treffens gab: Diesmal ging es hauptsächlich um Wells’ neuen Roman Hard Land, die 80er, Bruce Springsteen und die USA und man musste nicht einmal live vor Ort dabei sein (dafür reichte nämlich auch der Livestream), um zu erkennen, dass hier Zwei ziemlich gut miteinander können. Groß war hier daher die Freude, als die beiden drei Lesungskonzerte im Herbst unter dem Titel „Bruce, der Tod und wir“ ankündigten. Den Auftakt machte dabei ein genial unterhaltsamer,  durch und durch euphancholischer Lesungsabend im Bogen F in Zürich mit zwei starken Persönlichkeiten, die zunächst wohl nicht gegensätzlicher sein könnten und doch irgendwie auf einer Wellenlänge unterwegs sind – und zwar nicht nur wegen ähnlicher Interessen oder Themen in ihren Werken, wie Wells und Uhlmann am vergangenen Sonntag auf eine absolut kurzweilige, launige sowie inspirierende Art unter Beweis stellten.

Wenn man im Eingang des Bogen Fs steht, schon von dort aus die Bühne sehen kann und sich in genau dem Moment vor Augen führt, dass Benedict Wells bei vergangenen Lesungen mühelos Veranstaltungsorte wie das Zürcher Kaufleuten, das Konstanzer Konzil oder das Ravensburger Konzerthaus füllte und zusammen mit Thees Uhlmann sogar im ausverkauften Großen Saal der Elbphilharmonie liest, dann wird einem erstmal bewusst, was für ein unverschämtes Glück man hatte, überhaupt an ein Ticket für das Lesungskonzert gekommen zu sein. Und wenn man dann noch daran denkt, wie man den Sommer über das ein oder andere Konzert in diversen europäischen Fußballstadien inmitten von Zehntausenden Menschen erlebt hat, dann kann man sich wirklich nur unfassbar glücklich schätzen, den Lieblingsautor in einem derart exklusiven, intimen Rahmen lesen hören zu dürfen. Sich direkt in die erste Reihe zu setzen – also quasi fast mit auf die Bühne –, das traut man sich dann trotzdem nicht. Bei gerade mal etwa 100 verfügbaren Sitzplätzen war aber auch diese natürlich schnell besetzt und der lauschige Laden mitsamt seinen Plätzen auf der Galerie, der Treppe und sogar dem Boden dicht gefüllt mit Literatur- und Musikbegeisterten – darunter auch Verlagskollegen von Wells wie beispielsweise Thomas Meyer –, die erwartungsgemäß in frenetischen Jubel ausbrachen, als die beiden Protagonisten des Abends zusammen mit Simon Frontzek und Rudi Maier vom „Danke für die Angst“-Trio zur Primetime die kleine Bühne betraten.

„Heute startet unsere kleine Tour mit drei Lesungskonzerten und irgendwo muss man ja anfangen, zu üben – und das machen wir jetzt bei euch!“, begrüßte Thees Uhlmann das Zürcher Publikum gutgelaunt und grinsend. Er erklärte, dass er und Benedict Wells ja bereits zwei Mal gemeinsam aufgetreten seien, da sich ihre Themen immer so schön gekreuzt hätten, und dass das bisher gut funktioniert habe. Das sei ja beim Aufeinandertreffen von (männlichen) Autoren nicht immer der Regelfall, bemerkte er, doch seien laut seiner Lektorin noch nie zwei Autoren so uneitel nebeneinander auf der Bühne gesessen wie er und Wells. Wie um diese These direkt zu stützen, versicherte er seinem Schriftstellerkollegen daraufhin glaubhaft und so, als habe er diesen Umstand offenbar tatsächlich eben erst bemerkt: „Benedict, du hast wahnsinnig schöne Hände!“ [Anm.: Wo er recht hat…] „Das hat mir noch nie jemand gesagt!“, antwortete Wells sichtlich verlegen, hielt dann eine Seite mit 13 Punkten hoch und verkündete: „Wir stellen euch heute unser höchst ausgefeiltes Konzept vor. Das haben wir uns vorhin in 20 Minuten bei einer Tasse Kaffee überlegt.“ Er selbst würde Stellen aus zwei Büchern vorlesen, was gut oder schlecht werden könne – Zwischenkommentar von Uhlmann: „Gute Idee, das schon vorher anzukündigen!“ –, schließlich habe er aus dem ersten, Vom Ende der Einsamkeit, schon seit Jahren nicht mehr vorgelesen und hoffe deshalb, nicht alles falsch zu machen. Beinahe unnötig zu erwähnen: Natürlich saßen die Noten bei der „Moon River“-Passage immer noch so perfekt unperfekt wie auf der Lesetour 2016/2017 und natürlich rührte die Gänsehaut immer noch von den so wunderschön melancholischen Romanzeilen her und nicht etwa von der Art des Vorlesens. Nachdem Wells den Lesepart aus dem Kapitel „Kristallisation“ beendet hatte, stellte Uhlmann jedenfalls treffend fest: „Eine wahnsinnig traurige Geschichte, die du da erzählst!“ Woraufhin Wells entgegnete „Dafür bist du ja da!“ und Uhlmann nur lachend meinte: „Ja, damit es noch trister wird.“

Wer Sophia, der Tod und ich oder Thees Uhlmanns Büchlein über Die Toten Hosen gelesen hat, weiß jedoch, dass das natürlich pure Ironie war, denn seine Texte sind durchzogen von feinstem, teils köstlich schwarzem Humor. Davon gab es dann nach Tagesordnungspunkt 2, Uhlmanns Song „Die Toten auf dem Rücksitz“, auch direkt eine Kostprobe in Form eines noch unveröffentlichten Textes mit dem Titel „Tante Trudel“, der vom ersten USA-Urlaub der Familie Uhlmann erzählte. Ein Garant für Lacher im Sekundentakt und damit eines der Highlights des Abends, denn Uhlmann gab herrliche Anekdoten aus seiner Jugend zum Besten, über deren Kuriosität er zuweilen selbst laut lachen musste. So schilderte er beispielsweise, wie es für seine Mutter beim Flug nach Amerika völlig selbstverständlich war, sich mal kurz in den hinteren Teil des Flugzeuges zu begeben, um zu rauchen. „Aus heutiger Sicht völlig bizarr“, meinte der Autor kopfschüttelnd. Auch er könne sich erinnern, wie der Saal damals bei seinem ersten Kinobesuch überhaupt – „Arielle, die Meerjungfrau“ stand auf dem Programm – komplett verraucht gewesen sei und man die Leinwand nur schemenhaft erkennen habe können, schob Wells ein, bevor sein Bühnenkollege mit dem Text fortfuhr, der schließlich trotz all seiner Komik auf einer überraschend melancholischen Note endete.  „Da hast du aber noch einen ganz schön traurigen Satz hineingeschmuggelt“, bemerkte Benedict Wells und grinsend entgegnete ihm Thees Uhlmann nur: „Wir monetisieren eben den Schmerz.“

 

Thematisch bereits in den USA angekommen, berichtete Wells über die Entstehung seines Romanes Hard Land und die – wie er es selbst treffenderweise bezeichnete – „Nostalgiesuppe“, in der er gebadet habe und mit der er die unzähligen 80er-Filme meinte, die er beim Schreiben des Buches geschaut hatte. Für Hard Land hatte der Autor auch nochmals die USA besucht, nachdem er 2008 schon einmal dort gewesen war. Von dort aus sei er damals auch noch weiter nach Tijuana gefahren – ein Trip, der ihm offenbar immer noch in den Knochen steckt: „Das war eines der paar Male bisher, als ich wirklich um mein Leben gefürchtet habe“, erzählte er und fügte fast beiläufig hinzu, dass er darüber theoretisch auch noch einen Roman schreiben könne, wofür er direkt deutlichen Zuspruch von Uhlmann und dem Publikum erhielt. Wie um dies zu besiegeln, wurden den beiden nach einem kürzeren Lesepart aus Hard Land zwei Gläser mit Likör gebracht. Sie seien ja auch Literaten, bemerkte Uhlmann, und Wells erklärte, dass er ja sonst nicht so der große Trinker sei, sie sich im Vorhinein jedoch darauf geeinigt hatten, gemeinsam ein Glas Averna zu trinken. „Wir hatten uns darauf geeinigt, Averna zu trinken“, korrigierte ihn sein Kollege feixend. Die anschließende Debatte über die Qualität der neuen Simpsons-Folgen ging aufgrund offenbar unterschiedlicher Meinungen der ansonsten so harmonisch wirkenden Autorenkollegen unentschieden aus, doch beim Thema „Bruce Springsteen“, das nun mit Thees Uhlmanns Text „USA“ angeschnitten wurde, herrschte wieder brüderliche Einigkeit. Überhaupt hatte man beizeiten das Gefühl, hier säßen mit dem 38-jährigen Wells und dem zehn Jahre älteren Thees Uhlmann der große und der kleine Bruder zusammen am Tisch. So war Benedict Wells auch dessen ehrliche Bewunderung für sein Gegenüber anzusehen, als er diesem entlocken konnte, wie er einst dazu gekommen war, eine Rede für Olaf Scholz zu schreiben – und zwar zu keinem geringeren Anlass als dem 70. Geburtstag des bekannten Kinderliedermachers Rolf Zuckowski. Tatsächlich verbindet Uhlmann mit Zuckowski eine ganz besondere Kindheitserinnerung: „Meine Mutter erzählt heute noch davon, wie er damals in meinem Kindergarten aufgetreten war und ich als Einziger ganz gebannt vor der Bühne gestanden bin. Nach seinem Auftritt durfte ich auch noch den kleinen Verstärker zu seinem Auto tragen“, erzählte Uhlmann und dabei leuchteten nicht nur seine Augen. Dann schnallte er sich wieder die Gitarre um und gab zusammen mit seinen beiden Musikerkollegen vom „Danke für die Angst“-Trio eine wirklich gelungene Coverversion des Springsteen-Klassikers „Born to Run“ zum Besten.

Nicht nur textlich, sondern auch musikalisch folgte ein Glanzpunkt auf den anderen, denn die Euphancholie der zwei Textpassagen aus Hard Land, die Benedict Wells im Anschluss vorlas, fanden in den beiden Songs von Thees Uhlmann, die diese umrahmten, ihren perfekten Widerhall. Zu „Danke für die Angst“ (Eine kleine Hörprobe davon gibt’s auf meinem Instagram-Profil) erklärten die beiden: „Wir fordern den Nobelpreis für Stephen King!“ und Wells empfahl allen Schreibenden dessen Buch Das Leben und das Schreiben sowie Bei Regen in einem Teich schwimmen von George Saunders, das er erst kürzlich gelesen hatte. Das Lied „Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“ wiederum habe er beim Schreiben des Romans unzählige Male gehört, erzählte der Autor und sang lautlos mit, während man selbst ganz andächtig lauschte und voller Dankbarkeit, aber auch Euphancholie versuchte, diesen besonderen Moment der Fusion von Text und Musik für die Ewigkeit zu konservieren – zumal die Akustik in dieser Location so grandios war, dass man jeden einzelnen Ton im Körper spüren und fühlen konnte, wie er dann mitten im Herz ankam.

Vor allem trifft auch das Motto „Time flies when you’re having fun“ auf die Konzertlesung zu, denn im Handumdrehen waren über zweieinhalb Stunden vergangen und Thees Uhlmann steckte noch mitten im Vorlesen seines Textes „Walter & Gail“, als den beiden Autoren offenbar auffiel, wie weit die Zeit schon vorangeschritten war. Für einen kurzen Moment sah man ihnen an, wie sie überlegten, ihr „ausgefeiltes Konzept“ bis zum Schluss durchzuziehen (sicher auch zur Freude vieler Zuhörer:innen), aber dann siegte (leider?) doch die Vernunft: Uhlmann kürzte seinen Lesepart ein, vielleicht ja auch beim Gedanken an den weiten Weg, den sie im Anschluss noch im Nightliner nach Bochum hinter sich legen mussten. Überhaupt fielen die Lese- und Redeparts von Uhlmann etwas länger aus als die seines Kollegen, was jedoch wohl auch mitunter an der extrovertierteren Art und langen Bühnenerfahrung des Musikers/Autors liegen könnte. Während Thees Uhlmann also öfters den Entertainer durchblitzen ließ, munter drauflos schwatzte und auch ein Glas Wein nach dem anderen leerte, übernahm Benedict Wells, bescheiden und rücksichtsvoll wie man ihn kennt, hingegen häufig den Part des interessierten Zuhörers und Interviewenden – bisweilen zwar ein starker Kontrast von Laut und Leise (vor allem auch auf Textebene), doch erstaunlicherweise im Ganzen eine stimmige Kombination. Denn was zu keiner Sekunde zur Debatte stand: Dass sich hier zwei Künstler ganz offenkundig wunderbar verstehen, die Arbeit des anderen sehr schätzen und sich gerne miteinander austauschen. Und so bleibt zu hoffen, dass das kongeniale Duo Wells & Uhlmann (bestenfalls auch mit dem fantastischen „Danke für die Angst“-Trio) nach den drei Lesungskonzerten irgendwann (bald) wieder gemeinsam auf Tour geht und Uhlmann seine „Drohung“, dass sie im Dezember 2023 wieder nach Zürich kämen, tatsächlich wahrmacht. I’m ready!

An dieser Stelle auch noch mal ganz lieben Dank für die Bilder, liebe Anika! 🙂

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