Bericht: Konzert von Glen Hansard in Stuttgart am 15. November 2017
Ein Liedermacher, der seine Geschichten mit Herz und Seele lebt
Lange ist es her – nämlich genauer gesagt etwas mehr als ein Jahr –, als in der Anfangszeit dieses Blogs mein erster und bisher einziger Konzertbericht hier online ging. Schande über mein Haupt, ich weiß. Denn es ist ja nicht so, als ob ich in der Zwischenzeit nicht noch weitere Konzerte besucht hätte, schließlich brauche ich sie ja wie die Luft zum Atmen. Still blieb es hier, was den Bereich „Musik“ angeht, seitdem trotzdem vorrangig aus zwei Gründen: Zum einen war ich mir nicht sicher, wie hoch hier das Interesse an Beiträgen dieser Art überhaupt ist, und zum anderen, weil ich in den allermeisten Fällen auch nicht zeitnah dazu gekommen wäre, die Erlebnisse frisch niederzuschreiben. Den ein oder anderen kürzeren Konzert- und Musicaleindruck wird es aber sicherlich noch im musikalischen Rückblick Ende des Jahrs geben, versprochen! Jetzt gibt es jedenfalls fürs Erste wieder ganz aktuell einen Konzertbericht, der trotz all der vergangenen Zeit in vielen Punkten fast nahtlos an meinen Artikel über das Konzert von Passenger in Winterthur im letzten November anknüpft: Auch in diesem Fall wird das enge Verhältnis zwischen Musik und Dichtung bzw. Literatur sehr deutlich und hier ist die Verbindung zu Bob Dylan sogar noch größer, denn der betreffende Musiker sieht die Songwriterlegende nicht nur als einen seiner größten Einflüsse, sondern ist mit Dylan auch befreundet. Zudem handelt es sich hier ebenfalls um ein riesiges Erzähltalent, das seine Musikkarriere auch auf der Straße startete. Mittlerweile wird der besagte Singer/Songwriter gemeinhin als „König der Straßenmusiker“ gehandelt, wurde mehrfach ausgezeichnet, teilte die Bühne schon mit Größen wie Bruce „The Boss“ Springsteen, bespielt mitunter die namhaftesten Konzertstätten der Welt und zeigt sich auf seinen Gigs trotz allem als ein zutiefst authentischer, geerdeter und vor allem auch sehr nahbarer Vollblutmusiker. So auch gestern Abend im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle.
Die Rede ist von Glen Hansard. Glen wer? Vielen sagt dieser Name scheinbar nichts. Zumindest begegnete man mir bis jetzt auf meine Empfehlung, einmal in dessen Musik reinzuhören, und zuletzt auch auf meine Antwort auf die Frage, zu wessen Konzert ich denn schon wieder ginge, stets mit Stirnrunzeln. Wenn man dann erklärt, dass es sich hierbei um den Typen handelt, der vor einigen Jahren in dem Independent-Musikfilm Once die männliche Hauptrolle spielte und damit einen weltweiten Überraschungserfolg landete, dann fällt wenigstens bei Vereinzelten der Groschen. Abgesehen von dem Hit „Falling Slowly“, für den Hansard 2008 den Oscar in der Kategorie „Bester Filmsong“ erhielt, ist jedoch kaum jemand mit dem bemerkenswerten Repertoire vertraut, das der Ire mittlerweile nach ein paar Jahrzehnten des Musikerdaseins aufweisen kann: Insgesamt sieben Alben mit seiner Band The Frames, drei Alben mit seiner Filmpartnerin Markéta Irglová als Duo The Swell Season und jüngst seine beiden Solo-Studioalben Rhythm and Repose (2012) und Didn’t He Ramble (2015). Zugegeben, auch mir ist der Name „Glen Hansard“ erst seit 2013 ein Begriff. Damals haute mich der stimmgewaltige Musikpoet auf den Winterthurer Musikfestwochen als Support Act der britischen Band Travis, wegen der ich eigentlich dort war, gehörig von den Socken. Der ungemein positive Eindruck, den ich damals von Glen Hansard hatte, brandete nach dessen Konzert im Bregenzer Festspielhaus im Februar letzten Jahres (HIER habe ich ein paar Worte dazu verloren) dann in purer Begeisterung für Hansards unbändige Spielfreude, außergewöhnliche Bühnenpräsenz und seine große Liebe für das Geschichtenerzählen, die man als Zuhörer deutlich spürt. Auch seine Interaktion mit dem Publikum und den Spaß an der Improvisation, den er im Zusammenspiel mit den zehn Musikern, die ihn auf jener Tour begleiteten, an den Tag legte, waren ausschlaggebende Gründe dafür, wieso mir jener Gig wahrscheinlich für immer als eines der besten Konzerte überhaupt in Erinnerung bleiben wird.
Ein solches Konzerterlebnis setzt Maßstäbe und dementsprechend hoch waren auch meine Erwartungen an Hansards Auftritt im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle am gestrigen Abend. Der irische Singer-Songwriter eröffnete mit seiner Show auch offiziell das New Fall Festival, das in diesem Jahr zum zweiten Mal in Stuttgart (und übrigens auch parallel in Düsseldorf) stattfindet. Als Support Act hatten die Veranstalter des Festivals den dänischen Musiker Lasse Matthiessen gebucht. Der junge Songwriter schien sich mit seinen poetischen Melodien auf den ersten Blick bzw. Ton auch als passender Opener für Glen Hansard zu erweisen und sorgte mit seiner ausdrucksstarken Baritonstimme auf alle Fälle für den ein oder anderen Wow-Moment, doch die oft recht leisen Töne, die Matthiessen mit seiner größtenteils aufs Minimalste zurückgenommenen Gitarrenbegleitung anstimmte, ließen keine richtige Stimmung aufkommen und hatten auf einen Teil des Publikums, so schien es, fast schon eine einschläfernde Wirkung – gerade im Gegensatz zum Hauptact des Abends, der es später mit vielen Songs ordentlich krachen ließ!
Der irische Liedermacher ließ dann auch nicht lange auf sich warten und nahm um kurz nach 9 nur mit seiner Akustikgitarre im Gepäck und lediglich umringt von kleinen Lampen, einem Klavier, einer Drum-Maschine und einer beleuchteten Trommel, die mit ihrem Aufdruck auf jedem seiner Konzerte Hansards scheinbar selbsterklärte Mission „Save a Soul“ verkündet, auf einem Hocker auf der Bühne Platz. Der schlichte, jedoch recht wohnlich anmutende Bühnenaufbau suggerierte ein gemütliches Ambiente, doch auf der riesigen Bühne, die für Orchester gedacht ist, wirkte Hansard mit seiner kleinen Wohnzimmerausstattung in dem weiten Raum zunächst fast ein bisschen verloren. Dieser Eindruck hielt sich zunächst besonders hartnäckig, wenn man an Konzerte des Musikers – beispielsweise eben jener oben erwähnte Auftritt in Bregenz – dachte, die er zusammen mit einer zehnköpfigen Band und einer schier endlosen Instrumentenauswahl bestreitet. Da wurde ich zugegebenermaßen auch kurz ein bisschen wehmütig und bekam kurzzeitig Bedenken, ob es Hansard so ganz alleine gelingen würde, den Raum für sich einzunehmen und die eindringliche Stimmung seiner Songs in den ganzen Saal zu tragen.
Doch Glen Hansard wäre nicht der Profi und Vollblutmusiker, der er heute ist, hätte er nicht jahre-, ja gar jahrzehntelange Erfahrung darin, gerade auch als Straßenmusiker die Zuhörer mit einer unvergleichlichen Präsenz, Souveränität und Spielfreude im Nu für sich zu gewinnen. Und so braucht der 47-jährige Ire auch nur zwei Lieder – das Eingangslied „High Hope“ und „Time Will Be The Healer“, der ersten Singleauskopplung seines neuen, im Januar erscheinenden Albums Between Two Shores –, deren emotionale Parts er mit einer beispiellosen Inbrunst und Stimmgewalt darbot, um zu zeigen, was er kann, und zu beweisen, dass er den Saal auch mühelos alleine erobern kann. Mit den dargebotenen Liedern bediente Hansard gekonnt unter anderem die Musikstile Folk, Soul und Rock und führte damit und auch besonders dadurch, dass er in viele seiner Songs traditionelle irische Musikelemente kunstvoll miteinfließen lässt, seine enorme Vielseitigkeit vor. Ob Cover oder Eigenkomposition, der irische Barde performte sämtliche Songs völlig routiniert, ohne jemals die Virtuosität zu verlieren, und vor allem mit einer Leidenschaft, die bewegt. So sorgte er mit dem bisher unveröffentlichten Song „Shelter Me“, in dem er die Geschichte eines jungen obdachlosen Dubliners in Reime verfasst hat, bei mir für die erste minutenlange Gänsehaut und schaffte es kurz darauf, mich mit seinem Woodie Guthrie-Cover „Vigilante Man“, das er um einige zynische Strophen über U.S.-Präsident Trump und die prägnante Zeile „What I’d do to him if I could get away with it“ ergänzt hatte, völlig mitzureißen.
Bei den erwähnten Songs handelte es sich auch nur um zwei der vielen Lieder, deren Ursprünge und Themen Hansard anhand von oft ausschweifenden und amüsanten Anekdoten am Mittwochabend genauer erläuterte. So geht es in „My Little Ruin“ beispielsweise um die Wichtigkeit von Ehrlichkeit in einer Freundschaft, „Bird of Sorrow“ beschäftigt sich wiederum mit der schwierigen/fehlenden Kommunikation zwischen Herz und Verstand und beispielsweise der folkige Song „McCormacks Wall“ ging offenbar aus einer abenteuerlichen Ruderbootsreise Hansards und eines Freundes von Cork nach Portugal hervor. Äußerst unterhaltsam war auch Hansards mit reichlich Selbstironie und Humor erzählte Geschichte über Renata, eine Angebetete des Musikers, die in einem New Yorker Irish Pub bedient und im Auftrag deren Noch-Ehemanns Hansard letzten Endes das nach ihr benannte Lied schrieb. Mit Geschichten dieser Art und den dazu passenden Songs beweist Glen Hansard somit immer wieder, welchen Stellenwert das Geschichtenerzählen für ihn beim Liederschreiben einnimmt und wie sehr er sich offenbar den Rat, den ihm die Songwriterlegende Joni Mitchell offenbar einst erteilte, zu Herzen genommen hat: Ein wirklich guter Song beginne, so Mitchell, immer mit einer einzigen wahren Zeile über sich selbst.
Doch obwohl sich der charismatische Ire so offen, ehrlich und völlig ungekünstelt gab, zeigte sich das Stuttgart Publikum von einer recht reservierten Seite, sodass die typische gemütliche Pubatmosphäre, die viele seiner Lieder vermitteln und von denen ein Großteil derer auch lebt, trotz Hansards sichtlicher Bemühungen leider nicht oder zumindest nicht in allen Ecken des Beethovensaals ankam. Es mag zwar mitunter daran liegen, dass das Konzert bedauerlicherweise nicht ausverkauft war, doch auch der Großteil der Anwesenden hielt sich, was das Klatschen und das wohlgemerkt von Hansard teilweise selbst aufgeforderte Mitsingen anging, sehr stark zurück. Wirklich schade, legte dieser Ausnahmemusiker hier doch sein Herz frei und sang sich sprichwörtlich die Seele aus dem Leib, während er sich trotz einer offenbaren Magenverstimmung insgesamt über zwei Stunden auf der Bühne komplett verausgabte. Auch die Länge des Konzerts, die hauptsächlich durch Hansards oft sessionartig anmutende Darbietung seiner Songs entstand, führte jedoch scheinbar auch dazu, dass einige Besucher den Saal bereits vor der ersten Zugabe verließen. Selbst schuld, denn somit verpassten sie ein paar wunderbare Highlights: Hansard räumte nämlich zunächst für das Zwillingsduo The Ocelots, zwei Nachwuchsmusiker aus Irland, für zwei Lieder die Bühne (die im Übrigen mit ihrem an Simon & Garfunkel erinnernden Stil sehr gut ankamen) und bekam für die letzten Songs dann doch noch Unterstützung seines The Frames-Bandkollegen Rob Bochnick. Ihre komplett akustische Darbietung des Once-Songs „Say It To Me Now“ und des Interference-Covers „Gold“ waren ein wirklich krönender Abschluss für dieses schöne Konzert.
Ich kann zwar nicht verleugnen, dass mir Hansards Full-Band Konzert im letzten Jahr im Vergleich mit dem diesjährigen Solokonzert länger und lebhafter in Erinnerung bleiben wird. Immer wieder habe ich mich am Mittwoch in Stuttgart dabei ertappt, wie ich beispielsweise die fehlenden Gesangsparts Irglovás bei den Songs aus Once mitgesummt und die so prägnanten Brasseinlagen in Liedern wie „Her Mercy“ oder „Lowly Deserter“ im Kopf mitgedacht habe, weil ich sie eben schon so gewohnt bin. Trotzdem ist es, egal in welcher Form auch immer, etwas ganz Besonderes – und eine Chance, die man unbedingt nutzen sollte! –, ein so großes Ausnahmetalent wie Glen Hansard, der seine Geschichten und Lieder lebt und dessen Konzerte deshalb unbestreitbar eine völlig einmalige Seele besitzen, live sehen und hören zu können.
Setlist:
- High Hope
- Time Will Be the Healer
- Winning Streak
- My Little Ruin
- When Your Mind’s Made Up
- Shelter Me
- Bird of Sorrow
- Are You Getting Through
- Return
- Vigilante Man (Woodie Guthrie Cover)
- Renata
- What Happens When the Heart Just Stops
- Disappointed
- Santa Maria
- Falling Slowly
- Her Mercy
- Lowly Deserter
- McCormack’s Wall
- Way Back in the Way Back When
- Can’t Even Say Your Name (The Ocelots)
- Front Door Key (The Ocelots)
- Say It To Me Now
- Gold (Interference Cover)
Kennt ihr Glen Hansard oder wart ihr bereits auf einem Konzert von ihm?
Wenn ja, wie hat es euch gefallen? Oder was war das letzte Konzert, das ihr besucht habt?
Hinterlasst mir gerne Kommentare, ich würde mich freuen!
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