Bericht: Lesung von Martin Suter am 26. März 2024 in Zürich
Ein Abend mit Martin Suter, Melody, Allmen und Herrn Weynfeldt
In den vergangenen acht Jahren hatte ich das Glück, so einige schöne Lesungen erlebt haben zu dürfen. An die eine oder andere davon denke ich immer wieder gerne zurück. Dazu zählt auch „Schoog im Dialog“ mit Martin Suter im Mai 2017. Damals war der Schweizer Bestsellerautor mit seinem Roman Elefant auf Lesetour, fast genau sieben Jahre später ging es für ihn nun mit seinem nächsten klassischen „Suter“-Roman Melody (zwischenzeitlich sind von ihm jedoch zwei Krimis, ein biografischer Roman sowie ein Gesprächsband erschienen) erneut auf eine Lesereise – zwar ein Jahr später als ursprünglich geplant, dafür bereits mit einem weiteren neuen Werk, Allmen und Herr Weynfeldt, im Gepäck. Dabei machte Suter am vorletzten Lesungsabend auch im Zürcher Volkshaus Halt.
Der erfolgreichste Schweizer Autor der Gegenwart wurde in Zürich geboren und lebt heute auch wieder dort, deshalb verwundert es nicht, dass Martin Suter in seiner Heimatstadt (völlig zurecht natürlich) wie ein Popstar gefeiert wird: 1200 Gäste waren zu der Lesung im Theatersaal des Zürcher Volkshauses an jenem Dienstagabend Ende März gekommen – so viele, dass sich der Einlass beträchtlich verzögerte und Martin Suter und Moderatorin Nora Zukker, beide Suter-typisch im Anzug, die Bühne letztendlich mit deutlicher Verspätung betraten. Diese für die Schweiz ja alles andere als typische Unpünktlichkeit tat der Stimmung im ausverkauften Theatersaal jedoch keinen Abbruch: Das Publikum, darunter auch Freund*innen und Familie von Suter sowie einige Verlagsvertreter*innen, empfing die beiden mit langanhaltendem euphorischem Applaus und lauschte dem Gespräch fortan ausgesprochen aufmerksam und wohlwollend.
Tagesspiegel-Literaturredaktorin Nora Zukker, die zusätzlich zur Zürcher Lesung auch am nächsten Tag auf der Lesung in Bern moderierte, hatte für den Einstieg ein kleines Quiz für den Star des Abends vorbereitet: Der Autor sollte anhand von einigen Amazon-Kritiken bzw. Ausschnitten davon erraten, welches seiner Bücher Gegenstand der jeweiligen Besprechung war. Suter war die anfängliche Skepsis gegenüber dem kleinen Ratespiel durchaus anzumerken und er betonte, dass er Rätsel eigentlich nicht möge, natürlich abgesehen von den Rätseln in seinen Büchern. Ganz gentlemanlike ließ er sich dann aber doch auf das Spiel ein, schlug sich angesichts der teilweise recht kniffligen Beschreibungen recht wacker und gab dabei beispielsweise zu den Themen „Kopferotik“ oder „Gendern“ die ein oder andere kürzere oder in Bezug auf das Thema „Drogen“ auch schon mal etwas längere Geschichte zum Besten – und das wiederum so ausführlich, dass Suter schließlich scherzhaft bemerkte, dass er eben ein bisschen ausgeschweift sei, und Zukker grinsend darum bat, ihn zu bremsen, schließlich müssten sie sich etwas beeilen, sie hätten später ja noch eine Lesung. Damit war schon einmal der Grundstein für ein angenehmes Gespräch gelegt, bei dem sich der Autor und die Moderatorin auf Augenhöhe begegneten.
Wer schon einmal auf einer Lesung von Martin Suter gewesen ist oder schon das ein oder andere Interview mit ihm gelesen hat, dem/der dürften einzelne Sutersche Anekdoten oder so manche Fakten über sein Schreiben, die im Dialog mit Nora Zukker genauer besprochen oder angesichts der großen Themenvielfalt teils auch nur angeschnitten wurden, sehr wahrscheinlich bereits in ähnlicher Form irgendwo begegnet sein: Für eingefleischte Suter-Fans, zu denen der Großteil des Publikums an jenem Abend in Zürich sicher zählte, und für seinen Freundeskreis gewiss nichts Neues und doch verstand es der begnadete Schweizer Erzähler (wieder einmal) meisterhaft, seine Geschichten auf eine derart charmante, fesselnde und vor allem äußerst unterhaltsame Weise zu präsentieren, sodass sich kollektives Gelächter und frenetischer Applaus bisweilen beinahe im Minutentakt abwechselten.
Neben Suters Hauptthema „Schein und Sein“, um das sich seine Bücher stets in der ein oder anderen Form drehen, und seinem Faible für Geheimnisse sowie für die Themen „Kochen“ und „Essen“ ging es bei der Lesung in Zürich natürlich aber auch um seinen Bestseller Melody, aus dem Martin Suter auch mehrere Textpassagen vorlas. So berichtete er, dass er das Manuskript für den Roman von Hand auf einem Tablet geschrieben habe. „Die Marke des Geräts darf ich nicht nennen, weil ich dafür nicht bezahlt werde“, bemerkte er schelmisch und ergänzte, dass ihm dies eine verspieltere Art des Schreibens, das er „unplugged“ nenne, ermöglicht habe. Von Nora Zukker auf die Ambivalenz seiner Figur Dr. Peter Stotz angesprochen, erklärte Suter wiederum, dass ihm das Zwiespältige an jenem Charakter gefallen habe: „Ich habe ihn gerne gemocht und beschrieben und fand seine Art lustig“, und stellte auf die Frage hin, ob er es denn gut mit Stotz ausgehalten habe, grinsend fest, dass er es eigentlich nie lange mit jemandem aushalte, den er nicht möge.
So schalkhaft und gut gelaunt sich der Schweizer Autor bei der Zürcher Lesung überwiegend gab, so tief ließ er aber teilweise auch im Zusammenhang mit ganz persönlichen Themen blicken. Immer wieder kam gerade Suter – verständlicherweise – auf seine vor knapp einem Jahr verstorbene Frau Margrith zu sprechen. Sie sei stets seine erste Leserin gewesen, erzählte er und führte in Bezug auf das Ende von Melody weiter aus, dass sie ihm geraten habe, dass die Beteiligten das Geheimnis nicht wissen dürften, sondern nur der Leser. „Das ist eine wunderbare Hinterlassenschaft von ihr“, erklärte der Autor mit merklicher Dankbarkeit in der Stimme. Überhaupt wurde aus all seinen Bemerkungen und der Art, wie liebevoll er über sie sprach, ganz deutlich, dass sie seine große Liebe gewesen bzw. noch immer sein muss.
Und auch ganz am Ende, als sich Zukker und Suter noch um dessen neuestes Werk Allmen und Herr Weynfeldt widmeten, aus dem er trotz fortgeschrittener Zeit ebenfalls noch zwei sehr kurzweilige Passagen zum Besten gab, nahm das Gespräch noch einmal eine eher persönliche Wendung: Vor dem Hintergrund der unbeholfenen Männerfreundschaft zwischen Allmen und Weynfeldt wollte die Moderatorin von ihrem Gegenüber wissen, ob er denn ein treuer Freund sei, woraufhin dieser zunächst mit einem Augenzwinkern erwiderte, dass er ja auch ein treuer Mann gewesen sei. Mit Bezug auf das vergangene Jahr betonte Suter daraufhin jedoch auch: „Freunde sind sehr wichtig, besonders in schweren Zeiten. So sind beispielsweise meine engen Freunde Stephan Eicher und Benjamin von Stuckrad-Barre immer für mich da gewesen.“ Die Dankbarkeit war Martin Suter in diesem Moment deutlich anzusehen. Und dass auch ein Bestsellerautor wie er seinen Erfolg offenbar nicht einfach als selbstverständlich betrachtet, davon zeugte Suters Reaktion auf den gigantischen Applaus, den er am Schluss des in jeglicher Hinsicht grandiosen Lesungsabends erhielt: So kann es also auch einem Meistererzähler wie Martin Suter mal für einen Moment vor Ergriffenheit die Sprache verschlagen. Wie sympathisch.
Werbung – Vielen Dank an dieser Stelle an Diogenes Verlag, dass ich diese Lesung erleben durfte.
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