Rezension: “A Ladder to the Sky” von John Boyne

Zu viel Ehrgeiz ist nicht gut

Wie sehr habe ich mich gefreut, als ich erfuhr, dass John Boyne, einer meiner liebsten englischsprachigen Autoren, nach seinem wunderbaren Roman The Heart’s Invisible Furies etwas mehr als ein Jahr später schon sein nächstes Werk nachlegt. Der Klappentext zu A Ladder to the Sky klang vielversprechend und als dann die ersten Buchbesprechungen eintrudelten, stieg meine Neugier fast ins Unermessliche. Vor allem Hannah Beckermans Rezension im Guardian, in der Boynes neuestes Werk als eine „deliciously dark“ und „ingeniously conceived“ Erzählung beschrieben wird, riss mich mit ihrer Euphorie mit: Ich war mir sicher, dass Boyne damit (mal wieder) genau meinen Geschmack treffen würde. Umso bitterer und enttäuschender war es letzten Endes für mein sonst so treues Fanherz, dass mich Boyne mit A Ladder to the Sky nach all der Begeisterung für die Bücher, die ich bis jetzt von ihm gelesen habe, nicht wirklich überzeugen konnte.

In A Ladder to the Sky folgen wir Maurice Swift auf seinem mörderischen Weg zu literarischem Ruhm. Wir lernen ihn als einen aufstrebenden jungen Schriftsteller kennen, der zwar eine gute Schreibe, aber keine eigenen Ideen für Geschichten hat. Doch dieses „kleine“ Manko soll ihn nicht daran hindern, Fuß in der Literaturbranche zu fassen, denn das fehlende Talent kann er mit anderen Vorzügen aufwiegen: Attraktivität, Charisma und erotische Anziehungskraft. Doch Maurice ist an Sex und Liebe nicht interessiert – alles, was ihn treibt, sind sein Geltungsdrang und sein unersättlicher Hunger nach Ruhm. Davon besessen und getrieben, ein Bestsellerautor zu werden und in den angesehensten Kreisen des Literaturbetriebs zu verkehren, klaut er intrigierend und manipulierend die Geschichten anderer – und geht dabei sprichwörtlich über Leichen. Um sein Ziel zu erreichen und es bis ganz nach oben zu schaffen, ist er sogar bereit, nicht nur die Seelen anderer, sondern auch seine eigene zu verkaufen, aber wie weit kann er die titelgebende „Ladder to the Sky“ erklimmen, bevor sein Lügengerüst unter ihm zusammenbricht?

 

 

Mittlerweile schon typisch für Boyne, dreht sich auch sein neuestes Werk wieder um einen jungen Mann. Aber Maurice unterscheidet sich grundlegend von anderen Protagonisten Boynes: Anders als beim kleinen, naiven Bruno aus The Boy in the Striped Pyjamas, dem gewissenhaften, tapferen Alfie aus Stay Where You Are and Then Leave oder dem liebenswerten Cyril Avery aus The Heart’s Invisible Furies, kann man für Maurice keine Sympathie aufbringen. Natürlich haben auch die anderen Protagonisten alle ihre Makel und Laster – allen voran Cyril –, aber im Gegensatz zu Maurice, in dem durchaus ein Psychopath schlummert, kann man ihnen diese verzeihen. Doch die Tatsache, dass Boyne hier einen Antihelden par excellence geschaffen hat, ist nicht der Grund, wieso mich das Buch nicht so richtig überzeugt hat, denn im Grunde finde ich Antihelden in Geschichten, Filmen oder Serien oftmals an spannendsten, vor allem, wenn sie einen Blick in die Abgründe der menschlichen Psyche freigeben. Boyne taucht in A Ladder to the Sky zwar tief und sehr ausführlich in eben diese Abgründe ein und beleuchtet unterschiedliche Aspekte davon, aber tut dies leider auf Kosten seiner Charaktere und der Beziehung des Lesers zu ihnen. Natürlich macht es der Fokus auf einen Antihelden schwierig, mitzufühlen und mitzufiebern, aber auch die anderen Charaktere im Roman waren mir (mit der Ausnahme von zwei Stück) recht gleichgültig. Diese Teilnahmslosigkeit mag eventuell vor allem auch daher rühren, dass Boynes sonst so spürbare Liebe zu seinen Charakteren, die sich besonders in seiner Aufmerksamkeit fürs Detail bei den Beschreibungen äußert, hier fast komplett auf der Strecke geblieben ist: Dieser Funke, den Boyne sonst so meisterlich zwischen dem Leser und den Charakteren zu entzünden weiß, konnte gar nicht auf mich überspringen, weil er nie da war – und das war für mich wahrscheinlich mit Abstand der enttäuschendste Aspekt des Buches.

Gibt es schon kaum Figuren im Roman, die groß zum Weiterlesen animieren, dann sollte wenigstens die Handlung den Leser vorantreiben und am Ball halten, doch auch das ist Boyne in A Ladder to the Sky nur bedingt gelungen. Der Roman ist in drei Teile gegliedert, die aus verschiedenen Perspektiven geschildert und von jeweils einem Interlude getrennt werden. Während die drei Hauptteile – und hier vor allem Teil I, der sich um Maurices Bekanntschaft mit dem schwulen deutschen Schriftsteller Erich Ackermann dreht, den seine Erlebnisse im Dritten Reich noch immer heimsuchen, sowie Teil II, in dem wir Edith, ebenfalls eine erfolgreiche Autorin, kennenlernen – durchaus ihre Reize haben, verlangsamen die zwei Interludes die Handlung immens: Ich war hier beide Male fast schon gelangweilt, denn hier passiert nicht viel, außer dass ein paar Hintergründe beleuchtet und genauer erklärt werden, obwohl das für den Fortgang und die Verständlichkeit der Geschichte theoretisch nicht unbedingt nötig gewesen wäre. Das geht natürlich deutlich auf Kosten der Geschmeidigkeit der Erzählung, dabei beweist Boyne zum Beispiel im Vorgängerroman The Heart’s Invisible Furies, dass er es ansonsten doch bestens beherrscht, verschiedene Teile der Geschichte gekonnt miteinander zu verknüpfen und auch größere Zeitsprünge kunstvoll zu meistern. In A Ladder to the Sky treten die Kanten zwischen den einzelnen Puzzleteilen stattdessen viel zu deutlich hervor und stören somit das Gesamtbild.

Dennoch blitzt in einigen Abschnitten der „alte“ Boyne, so wie zumindest ich ihn kenne und liebe, wieder auf: So kann Teil I vermutlich vor allem aus dem Grund bestechen, weil Boyne hier ein ihm wohlbekanntes Terrain – nämlich Nazi-Deutschland – betritt und von seinem in all den Jahren angesammelten Wissen Gebrauch machen kann. Im Mittelteil wiederum kommt besonders Boynes Hang zum Drama durch, der wieder einige potentielle Herzaussetzer für den Leser bereithält. Trotzdem ist man auch für den ein oder anderen angeblichen Plottwist gewappnet, weil vieles doch ein bisschen zu vorhersehbar ist und man schon mehr oder weniger ahnt, auf was das Ganze früher oder später ungefähr hinauslaufen wird – und das ist man von John Boyne sonst wirklich nicht gewohnt.

Und obwohl der irische Autor seinen feinen Witz, für den ich ihn so schätze, hier nur sporadisch und deshalb für meinen Geschmack viel zu selten einsetzt, waren es gerade diese Stellen, an denen Boynes dunkler Humor leicht durchschimmert, die mich beim Lesen von A Ladder to the Sky schließlich noch bei Laune gehalten haben. In einem Roman, der sich um das Schreiben, das Autorsein und das Erzählen von Geschichten dreht, geht es natürlich auch um den Literaturbetrieb – und den nimmt Boyne hier zwar nicht vordergründig aufs Korn, aber doch deutlich genug: Sachte parodiert er das Verlagswesen, dessen Mitglieder und Publikum sowie den (Un-)Sinn von Wettbewerbspreisen. Dabei wirft er einige interessante Fragen und Gedanken in den Raum wie zum Beispiel:

„Would there be no end to publishing? he wondered. Perhaps it would be a good idea if everyone just stopped writing for a couple of years and allowed readers to catch up.” (94)

“‘As I told you before, Garrett, I prefer not to talk about work in progress. Just in case.’ ‘Just in case what?’ ‘Just in case someone steals my idea.’ ‘But an idea is just an idea,’ he countered. ‘You could outline The Great Gatsby for us all right now and it’s not as if any of us could just sit down and write it.’ ‘No,’ you agreed. ‘But still, I’d prefer not to.’ ‘Of course, this leads us to a bigger question, doesn’t it?’ said Garrett. ‘Does it?’ ‘Yes. The concept of literary ownership itself, or even literary theft. Of whether our stories belong to us at all.’” (159f.)

“‘[…] I never don’t finish a novel once I’ve started it,’ you replied. ‘It’s a rule of mine.’ ‘Not me,’ I said […]. ‘Life’s too short. As far as I’m concerned, a writer gets one hundred pages and, if they can’t keep my attention during that time, I move on.’ ‘Ridiculous,’ you said. ‘Don’t call me ridiculous.’ ‘I wasn’t calling you ridiculous. I was calling that policy ridiculous. You can’t say you’ve read a novel unless you’ve read it cover to cover. Yes, perhaps you’ll be bored at the start but what if it gets better and suddenly everything that went before falls into place?’” (151)

Nun, ich habe A Ladder to the Sky von Anfang bis Ende gelesen, auch wenn mich die ersten hundert Seiten nicht komplett überzeugt haben, und letztendlich ist die Geschichte für mich trotzdem nicht zu einem handfesten Ganzen geworden. Nichtsdestotrotz würde und möchte ich nicht sagen, dass A Ladder to the Sky ein schlechtes Buch ist – dafür schreibt John Boyne viel zu gut. Und ich glaube auch, dass der Roman vielen anderen, vor allem Boyne-Neulingen, gefällt bzw. gefallen könnte. Bei mir fällt er lediglich im Vergleich mit den anderen Romanen Boynes, die ich bis jetzt gelesen habe, weit zurück, und hatte es vor allem nach The Heart’s Invisible Furies, meinem Lesehighlight des Jahres 2017, zugegebenermaßen einfach schwer, die hohen Erwartungen zu (über-)treffen. Doch wer weiß, vielleicht kann mich John Boyne ja mit seinem nächsten Roman wieder restlos begeistern? Fleißig genug ist er ja und mit etwas weniger verkrampften Ehrgeiz als diesmal wird das statt eines Lattenschusses sicher wieder ein Volltreffer.

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