Rezension: “Elefant” von Martin Suter

Die Jagd nach dem rosa Elefanten

Sie ist rosa, in etwa so groß wie ein Schoßhund, hört auf den wohlklingenden Namen „Sabu Barisha“ und leuchtet im Dunkeln – es war Liebe auf den ersten Buchstaben. Die Rede ist von dem neuesten Geschöpf aus der Feder des Schweizer Bestsellerautors Martin Suter: Ein pink leuchtender Mini-Elefant, um den sich Suters aktueller Roman dreht. Für die einen ist sie ein Spielzeug, die anderen halten sie gar für heilig und für andere stellt sie wiederum einen neuen Lebensinhalt dar, doch eins haben sie alle gemeinsam: Sie wollen die kleine Elefantendame um jeden Preis haben bzw. beschützen. In einer packenden und berührenden Geschichte beschreibt Suter das dramatische Wettrennen um jenes einzigartige Tierchen.

Eigentlich fristet der Obdachlose Schoch ein ziemlich tristes Dasein: Tagsüber ertränkt er seine Langeweile im Alkohol und geht anderen Menschen am liebsten aus dem Weg, nachts zieht er sich in seine Höhle nahe der Limmat zurück. Einen gehörigen Spritzer Farbe bringt schließlich die kleine Sabu in sein Leben, als sie aus heiterem Himmel in Schochs Unterschlupf auftaucht. Schnell muss er erkennen, dass es sich bei dem rosafarbenen und in der Dunkelheit leuchtenden Elefanten nicht etwa um eine Entzugserscheinung handelt, sondern um ein Tier aus Fleisch und Blut, das offensichtlich riesigen Hunger hat. Schochs gutgemeinte Fütterungsaktion führt die beiden jedoch prompt in die Praxis der Tierärztin Valerie, welche den Ernst der Lage sofort erkennt: Sie quartiert Sabu samt Schoch unverzüglich in der leerstehenden Villa ihrer Eltern ein. Dort päppelt der frischgebackene Elefantenpapa seinen Zögling fürsorglich auf und wird gleichzeitig von Valerie auf Alkoholentzug gesetzt. Lange währt die kleine Familienidylle allerdings nicht, denn bald schon sind ihnen der Genforscher Roux und sein chinesischer Komplize dicht auf den Fersen. Diese beiden haben mit dem kleinen Elefanten ganz andere Pläne vor, mit denen wiederum auch der Elefantenspezialist Dr. Reber sowie der burmesische Elefantenflüsterer Kaung nicht einverstanden sind. Wird es den Tierfreunden mit vereinten Kräften gelingen, Sabu vor ihrem Schicksal als Forschungsobjekt zu bewahren?

Als ich vor etwa einem Jahrzehnt im Deutschunterricht Lila, Lila las und damit zum allerersten Mal mit Martin Suters Romanen in Berührung kam, war mir sofort klar: Dieser Mann schreibt ganz besondere, unvergessliche Geschichten. Lila, Lila zählt bis heute zu meinen Lieblingsbüchern und auch sämtliche anderen Romane des Autors, die in der Zwischenzeit erschienenen sind, bestätigten meinen damaligen ersten Eindruck immer wieder. Auch Elefant ist abermals ein eindeutiger Beweis für Suters einmaliges Talent, außergewöhnliche Geschichten zu erzählen und Charaktere zu erschaffen, die den Lesern für lange Zeit in lebhafter Erinnerung bleiben. Das wird, da bin ich mir sicher, auch bei der niedlichen Sabu und auch ihrem Ziehvater Schoch der Fall sein. Bereits vorab durch einige Rezensionen vor der kleinen Herzensbrecherin gewarnt, hatte ich mich schon darauf gewappnet, dem Charme der rosafarbenen Elefantendame schnell zu erliegen, aber dass sie mich so schnell um den Finger – oder in diesem Fall vielleicht eher Rüssel? – wickeln würde, damit hatte ich dann doch nicht gerechnet: Praktisch ab Sekunde eins fieberte ich mit dem Schicksal dieses liebenswürdigen Elefäntchens mit. Da ging es mir also gleich wie Schoch, der mir vor allem wegen seiner ungekünstelten Art auch sehr schnell ans Herz gewachsen ist. Überhaupt führt Martin Suter auch hier wieder seine faszinierende Gabe vor, enorm plastische Figuren zu zeichnen, die förmlich von den Buchseiten springen. Demnach fiel es mir hier überhaupt nicht schwer, mir sämtliche Haupt-, aber auch noch so belanglose Nebenfiguren genau vorzustellen – ein Umstand, der natürlich beträchtlich dazu beitrug, dass mich die Geschichte derart fesselte.

Spannung wird auch durch die kurzen, immer wieder zwischen der Vergangenheit und Gegenwart wechselnden und die einzelnen Erzählstränge verknüpfenden Kapitel erzeugt. Diese Zeitsprünge stiften anfangs zwar ein wenig Verwirrung, garantieren jedoch Abwechslung und Lebendigkeit. Martin Suters dynamischer und bildlicher Schreibstil, seine oft recht humorvolle Sprache, sein Auge für das Skurrile und ganz besonders auch seine kurzweiligen Dialoge lockern die Handlung zusätzlich auf – und das trotz der generell sehr ernsten und gewichtigen Themen wie etwa Genmanipulation, Tierrechte, Kriminalität, Obdachlosigkeit, Alkohol- und Drogensucht, Existenzangst und Einsamkeit. Gerade was die Thematiken der Obdachlosigkeit und vor allem auch die der Genforschung betrifft, war ich von dem offenkundigen Rechercheaufwand, den der Autor (wie er auch im Nachwort erläutert) betrieben hat, mehr als nur einmal zutiefst beeindruckt.

Ganz besonders gut gefallen und fasziniert haben mich die Schilderungen Sabu Barishas. Sie erschienen mir so authentisch und lebendig, dass ich den niedlichen Mini-Elefanten stets direkt vor Augen hatte. Hier hat Suter die meiner Meinung nach sehr schwierige Herausforderung, Tiere glaubwürdig darzustellen, fabelhaft gemeistert: Sein rosa Elefant wirkte auf mich wie ein vollwertiger Charakter und hatte bei seinen Auftritten ausnahmslos absolute Präsenz – und das, ohne je ein Wort sagen zu können. Gerade auch die Tatsache, dass immer wieder betont wurde, dass Tiere ihren eigenen Willen haben und keine Spielbälle der Menschen sind, betont die beachtliche Auffassungsgabe und das Einfühlungsvermögen des Autors.

Mit Elefant hat Martin Suter einen mitreißenden und anrührenden Roman geschaffen, der mit liebevoll gestalteten Figuren und einer durchweg spannenden Handlung glänzt. Die Geschichte um die Jagd nach der rosafarbenen Elefantendame ist kurzweilig und liest sich lockerleicht, geht dabei aber dennoch – um der Gewichtigkeit der angesprochenen Thematiken gebührend nachzukommen – ausreichend in die Tiefe und regt langfristig zum Denken an. Eine unterhaltsame, aktuelle und lehrreiche Lektüre. 

Habt ihr “Elefant” oder vielleicht auch andere Romane von Martin Suter gelesen?
Berichtet mir gerne in den Kommentaren von euren Leseeindrücken!

Kommentare

  1. querdurchdenalltag

    Die Begeisterung für den kleinen rosaroten Elefanten teile ich voll und ganz. Ein wunderbares Buch und eine berührende Geschichte. Obwohl ich Martin Suter schon lange kenne, war dies mein erstes Buch von ihm – aber bestimmt nicht das letzte.
    Auch ich habe dem kleinen rosaroten Elefanten einen Beitrag gewidmet:
    https://www.querdurchdenalltag.com/elefant-martin-suter
    Beste Grüsse, Stefan

    1. Hallo Stefan,
      wie schön, dass wir unsere Begeisterung für das Buch und vor allem für die beiden Charaktere Sabu und Schoch teilen! Ich finde es so beeindruckend, wie es Herr Suter schafft, Figuren zu erschaffen, die seinen Lesern so nahegehen.
      Ich kann dir auf jeden Fall nur ans Herz legen, auch seine anderen Bücher zu lesen, vor allem natürlich “Lila, Lila” – ich bin mir ziemlich sicher, dass dir auch diese ganz besondere Geschichte gut gefallen könnte!
      Liebe Grüße,
      Elena

  2. Liebe Elena, durch deine Rezension bin ich auf dieses faszinierende und spannende Buch gestoßen. Ich habe es als E-Book gelesen und bin total begeistert. Wenn man schon einmal kleine Elefanten in natura gesehen hat, kann man sich dieses sympathische Wesen noch besser vorstellen.
    Herzlichen Dank für die Anregung.
    Johannes

    1. Lieber Hannes, ganz herzlichen Dank für den Kommentar! Es freut mich wirklich sehr, dass du den Roman auf Empfehlung hin gelesen hast und es dir auch so gut gefallen hat! Die Geschichte ist wirklich etwas Besonderes. 🙂 Viele liebe Grüße, Elena

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