Rezension: “The Boy in the Striped Pyjamas” von John Boyne

Die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft

Was Meinungen zu John Boynes Erfolgsroman The Boy in the Striped Pyjamas, da scheiden sich wohl ein bisschen die Geister: Der Großteil lobt das Buch in den Himmel und bezeichnet es als unbestreitbaren Klassiker, nicht wenige verurteilen Boynes Roman hingegen als vollkommen unrealistisch und furchtbar. Ich kann die meisten Argumente von beiden Seiten bis zu einem gewissem Grad nachvollziehen und befinde mich selber irgendwie in der Mitte. Zwar konnte mich das Buch letzten Endes nicht so begeistern, wie ich es ursprünglich erwartet hätte, aber mir hat die Geschichte ganz gut gefallen. Müsste ich allerdings ein Buch von Boyne weiterempfehlen, wäre es nicht dieses hier, sondern The Absolutist, durch welches ich überhaupt erst auf den Autor gestoßen bin.

In meinem literarischen Jahresrückblick 2016 habe ich The Absolutist als eines meiner absoluten Lesehighlights aus dem letzten Jahr aufgeführt. Die Geschichte von Tristan Sadler und Will Bancroft, zwei jungen Soldaten an der Front im Ersten Weltkrieg, hat mich unendlich bewegt und ich empfand Boynes Schreibstil als derart fesselnd, dass ich das Buch tatsächlich nicht weglegen konnte, bis es zu Ende gelesen war. Dementsprechend hoch waren meine Erwartungen an seine weiteren Bücher. Ursprünglich sollte mein nächster Roman von Boyne Stay Where You Are and Then Leave werden, doch dann packte mich kurz nach Neujahr die Lust und ich wollte The Boy in the Striped Pyjamas lesen – unter anderem auch auf Grund all des Lobes, das diesem Buch zuteil geworden war.

Es ist das Jahr 1943 und Brunos Familie wird auf Antrag von „The Fury“ von Berlin nach „Out-with“ versetzt. Von einem Tag auf den anderen muss der neunjährige Bruno, der Sohn eines Nazi-Funktionärs, seine Sachen packen, sein Zimmer in dem von ihm so sehr geliebten Berliner Stadthaus räumen und sich noch dazu von seinen Großeltern und seinen „drei besten Freunden für’s Leben“ auf ungewisse Zeit verabschieden. Der Junge ist empört und kann und will sich anfangs nicht mit der neuen Situation abfinden. Er empfindet es als eine Unverschämtheit, dass das neue Haus in „Out-with“ viel kleiner ist und er dort keine Spielkameraden hat – abgesehen von seiner drei Jahre älteren Schwester Gretel, die in seinen Augen ohnehin ein hoffnungsloser Fall ist. Das Haus und seine Umgebung sind dem Jungen sofort unbehaglich, etwas scheint hier nicht zu stimmen, doch die Menschen in ihren blaugestreiften Schlafanzügen auf der anderen Seite des Stacheldrahtzauns, die er von seinem Zimmer aus sehen kann, erwecken die Neugier des selbsterklärten Entdeckers. Auf einer seiner Erkundungstouren trifft er auf den jüdischen Jungen Shmuel, der auf der anderen Seite des Zauns lebt. Die beiden Kinder sind am gleichen Tag geboren und sehen sich so ähnlich, ihre Leben könnten jedoch nicht unterschiedlicher sein. Täglich trifft Bruno seinen neuen Freund am Zaun, er bringt ihm Essen mit und sie erzählen sich von ihren Leben, aber Bruno versteht nicht, wieso er von Shmuel getrennt ist und was auf der anderen Zaunseite überhaupt vor sich geht – eine Katastrophe scheint bereits vorprogrammiert…

Die Sprache und der Stil sind sehr simpel und leicht verständlich, da die ganze Geschichte aus der Perspektive des neunjährigen Bruno geschrieben ist. Das noch unkomplizierte kindliche Denken und die noch völlig unvoreingenommene Sichtweise und Unschuld des Jungen sorgen deshalb oft für (unfreiwillige) Komik, aber auch für sehr berührende Momente. Der kleine Bruno ist zwar ein aufgewecktes Kerlchen, doch sein Horizont ist – wenn auch wohl hauptsächlich unverschuldet – noch sehr beschränkt: Man hat ihn nicht darüber aufgeklärt, was in seinem Land und auf der Welt vor sich geht, er weiß nicht, wofür der Beruf seines Vaters steht und was dieser überhaupt genau macht, geschweige denn versteht er, wieso er zu manchen Menschen, Leuten wie seinem Freund Shmuel, keinen Kontakt haben darf. Dies sorgte bei mir für ein recht zwiespältiges Verhältnis zum Protagonisten: Manchmal möchte man den Kleinen für seine Niedlichkeit knuddeln, oft verspürt man aber auch den Drang, ihn einfach nur an den Schultern packen und schütteln zu wollen, damit er seine Augen endlich öffnet. Die schier unfassbare Naivität und Unwissenheit Brunos sowie die Darstellung des Lebens im Konzentrationslager sind auch wohl die Hauptgründe, wieso einige das Buch als unrealistisch bezeichnen.

Ich denke, dass es vordergründig gar nicht Boynes Anspruch war, das Geschehen möglichst realistisch darzustellen. Im Prinzip lebt die Geschichte nämlich von Brunos naiver Haltung, gerade dadurch erscheint alles Furchtbare, das in der Erzählung nie explizit erwähnt, sondern immer nur angedeutet wird, noch drastischer. Hier geht es vielmehr darum, zwischen den Zeilen zu lesen: Boyne setzt Vorwissen voraus und möchte, dass der Leser die intendierten Leerstellen selbst füllt. Der beim Leser gezielt provozierte Ärger über Brunos Blauäugigkeit und Unverständnis, aber auch über die Unfähigkeit der Eltern, ihrem Sohn die Wahrheit zu sagen und Erklärungen auf seine Fragen zu liefern, haben aber einen eindringlichen Effekt: Man schüttelt den Kopf und fragt sich, wie Menschen nur so blind sein können und ihre Augen willentlich oder unwissentlich vor der offensichtlichen Realität verschlossen haben und, beinahe noch wichtiger, immer noch verschließen!

Zunächst dauerte es nicht lange und ich war wieder ähnlich verliebt in Boynes Geschichte wie damals bei The Absolutist, ich hatte ein gutes Gefühl, dass mich das Buch ähnlich berühren könnte. Doch nach und nach flaute diese Empfindung mit dem Verlauf der Geschichte ab – damit hatte ich tatsächlich nicht gerechnet. Das liegt gar nicht einmal daran, dass mich das Geschehen generell nicht mitreißen konnte, aber allmählich wurde es allzu vorhersehbar, dass das Ganze kein gutes Ende nehmen wird. Die Tatsache, dass ich mit dem baldigen Eintreten eines schrecklichen Ereignisses rechnete, nahm mir ein wenig die Spannung – obgleich ich mir den tatsächlichen Ausgang der Geschichte dann trotzdem nicht ganz so … grausam … ausmalen hätte können. Zwar konnte mir der Roman, wider Erwarten – wahrscheinlich weil ich bereits gewappnet war –, keine Tränen, aber ganz am Ende (vor allem auch wegen des letzten Absatzes) nichtsdestotrotz ein beeindrucktes „Wow“ entlocken.

Gerade eben habe ich mir nun den Trailer zu der Verfilmung des Romans, die wohl auch sehr gut, wenn nicht sogar besser als das Buch sein soll, angesehen. Da sind meine Äuglein tatsächlich in Windeseile feucht geworden. Vielleicht schaue ich mir den Film demnächst an, auf den Vergleich mit dem Buch bin ich schon gespannt. Und auch auf John Boynes weitere Bücher – allen voran Stay Where You Are and Then Leave und The Boy at the Top of the Mountain.

Kennt ihr das Buch oder habt ihr den Film gesehen? Falls ja, wie haben sie euch gefallen?

Kommentare

Kommentar verfassen

Ich akzeptiere die Datenschutzbestimmungen.