Rezension: “Life Class”, “Toby’s Room” und “Noonday” von Pat Barker

Schwache Trilogie über den Ersten Weltkrieg und den „London Blitz“

In meinem literarischen Leserückblick 2016 habe ich Pat Barkers Regeneration-Trilogie als eines meiner absoluten Lesehighlights des Jahres aufgeführt. Barker hatte mich damals mit ihrem Schreibstil und vor allem mit ihrer offensichtlich gründlichen Recherche schwer beeindruckt. Die besagten drei Bücher glänzten jeweils mit einer mitreißenden Handlung, plastischen Charakteren und einer beeindruckenden Verflechtung von Erzählung und Informationsvermittlung über den Ersten Weltkrieg. Dementsprechend groß bzw. hoch waren meine Freude auf und Erwartungen an Barkers zweite Weltkriegstrilogie. Doch leider sucht man all die Punkte, welche die Regeneration-Trilogie zu etwas ganz Besonderem machten, in der Life Class-Trilogie – zumindest zu großen Teilen – vergebens. Kein Wunder also, dass mich Letztere demnach auf beinahe ganzer Linie enttäuscht hat.

Ich schätze, es ist eher unüblich, eine komplette Trilogie bzw. Buchreihe zu rezensieren, aber da ich die Bücher direkt hintereinander gelesen habe und sie deswegen jetzt nur noch als „Gesamtkunstwerk“ betrachten kann/möchte, schreibe ich nun über alle drei Bücher. Nichtsdestotrotz werde ich versuchen, möglichst wenige Details vorwegzunehmen, auch wenn der grobe Fortgang der Geschichte und die Schicksale der einzelnen Hauptfiguren natürlich unvermeidlich angesprochen werden. Allerdings wird mittlerweile ohnehin durchgeklungen sein, dass ich jedem, der an überzeugend geschriebener Literatur über den Ersten Weltkrieg interessiert ist, dazu raten würde, zu Barkers erster Trilogie (oder wahlweise anderen Weltkriegsbüchern) zu greifen – es sei denn, man hat Freude an Beziehungsdramen und Dreiecksgeschichten, denn diese bilden (bedauerlicherweise) den tatsächlichen Mittelpunkt der Life Class-Trilogie.

Life Class, Toby’s Room und Noonday drehen sich um die drei Hauptfiguren Elinor Brooke, Paul Terrant und Kit Neville. Der erste Band der Trilogie beginnt im Frühjahr 1914 in London, genauer gesagt an der renommierten Slade School of Art, an der die drei Charaktere als Kunststudenten eingeschrieben sind und die legendären Zeichenkurse von Henry Tonks besuchen. Während der erste Teil von Life Class vor Ausbruch des Krieges spielt und sich vorwiegend Pauls diversen Liebesabenteuern und der Beziehungsentwicklung zwischen den drei Charakteren untereinander widmet (natürlich sind beide Männer in Elinor verliebt…), verlagert sich die zweite Hälfte des Romans auf das Geschehen an der Kriegsfront in Belgien, wo Paul und Neville nun als Sanitäter arbeiten. Elinor versucht währenddessen, sich gegen traditionelle Rollenmodelle zu wehren und nicht Teil der Kriegsmaschinerie zu werden, da sie sich einzig und allein ihrer Kunst widmen möchte. Spätestens in Toby’s Room, dem zweiten Band der Trilogie, muss sie jedoch einsehen, dass auch sie ihren Teil zu leisten hat, und so nimmt sie 1917 auf Anraten ihres Mentors Henry Tonks eine Stelle als Skizzenzeichnerin am Queen Mary’s Hospital, Sidcup an, das auf plastische Gesichtschirurgie spezialisiert ist und in dem Kriegsverletzte behandelt werden. Einer der Patienten ist auch Kit Neville, von dem Elinor nun um jeden Preis erfahren möchte, was mit ihrem totgeglaubten Bruder Toby an der Front tatsächlich passiert ist. Unterstützung erhält sie dabei von Paul, welcher, nachdem er ebenfalls verletzt aus dem Kriegsdienst ausgeschieden ist, nun als Kriegsmaler arbeitet. Nach und nach wird somit das Geheimnis um Tobys rätselhaften Tod aufgedeckt, welches auch etliche Jahre danach noch wie ein dunkler Schatten über Elinors Familie zu schweben scheint, wie sich in Noonday zeigt. Der dritte Band setzt mehr als zwanzig Jahre nach den Ereignissen der ersten beiden Romane an: Elinor, Paul und Kit haben ihre Leben zwar weitergelebt, die Kriegserfahrungen jedoch nie ganz überwunden, und stehen nun erneut im Kriegsfeuer – und zwar als Krankenwagenfahrer bzw. Luftschutzwärter während des „London Blitz“, sprich den Angriffen der deutschen Luftwaffe auf Großbritannien in den Jahren 1940/41. Während Elinor und Paul, die inzwischen miteinander verheiratet sind, auf der einen Seite ihr Leben riskieren, um Menschen aus zerbombten Häusern zu retten, setzen sie auf der anderen Seite auch ihre Ehe mit banalen Affären bereitwillig aufs Spiel.

Obwohl die drei Bücher durch wiederkehrende Charaktere und eine fortgesetzte Handlung verbunden sind, können sie auch eigenständig gelesen werden – das gilt auch vor allem für den dritten Teil, der zeitlich ohnehin von den anderen beiden Romanen abgesetzt ist. Hätte ich nicht bereits alle drei Bände hier gehabt, da ich irrtümlicherweise auf Barkers Können vertraut hatte, hätte ich nach Life Class vermutlich jedoch nicht weitergelesen. Auch wenn mir die scheinbare Grundidee des Buches (bzw. der Trilogie), die Themen „Krieg“ und „Kunst“ zu verbinden, eigentlich zusagte, konnte mich bereits der erste Roman nicht überzeugen. Das lag vor allem an der meiner Meinung nach völlig unfokussierten Handlung, den recht lieblos gestalteten Charakteren und deren wenig nachvollziehbarem Verhalten sowie der leidigen Dreiecksgeschichte. Barker springt in Life Class bei der Schilderung des Plots ständig hin und her, viele Handlungsstränge erscheinen deswegen etwas zusammenhanglos und unausgereift, manches – und hier vor allem eben die Verhaltensweise und Gedanken einzelner Personen – wirkt sogar widersprüchlich und absurd. Unter anderem aus besagtem letzten Grund fällt es auch schwer, eine Bindung zu den Figuren aufzubauen und sich für ihr Schicksal in irgendeiner Weise zu interessieren. Der größte Dorn im Auge war für mich allerdings die Dreiecksbeziehung und ich frage mich wirklich, wie Pat Barker jemals darauf kommen konnte, sowas für eine gute Idee zu halten, denn – sind wir mal ehrlich – spätestens seit Twilight sind Dreiecksgeschichten doch einfach out.

Während also diese leidige ménage à trois etliche Male zu heftigem Augenrollen meinerseits führte, bewirkte eine Sache noch mehr Kopfschütteln bei mir, nämlich das fragwürdige, Game of Thrones-mäßige Verhältnis zwischen Elinor und ihrem Bruder Toby. Diese Geschichte wird ganz am Anfang des zweiten Bands in einem Rückblick ins Jahr 1912 enthüllt, müsste also theoretisch auch bereits indirekten Einfluss auf das Verhalten der Personen im ersten Buch, das im Jahr 1914 spielt, gehabt haben, doch dort findet man keinerlei Hinweise darauf. Dadurch bekommt man letztendlich den Eindruck, der Autorin sei dieser Einfall erst im Nachhinein gekommen, was das Ganze wiederum etwas unglaubwürdig erscheinen lässt. Abgesehen davon, hat mir der zweite Teil der Trilogie jedoch noch am besten gefallen, da er – im Gegensatz zu den anderen beiden Romanen – eine mehr oder weniger erkennbare Handlung aufweist und in den Teilen, die rückblickend über Tobys und Kits Erlebnisse an der Front erzählen, und den Szenen, die im Queen Mary’s Hospital, Sidcup spielen, die „alte Pat Barker“ und deren wahres Können stellenweise wieder aufblitzt. In diesen Parts spielt auch häufig Kit Neville eine Rolle, für welchen ich als einzigen Charakter Sympathie aufbringen konnte, da er in meinen Augen am menschlichsten rüberkommt und sein Pathos nachvollziehbar ist. Die Tatsache, dass es sich hier allerdings um den eigentlichen Antagonisten der Geschichte handelt, der von Barker ursprünglich als selbstverliebtes Großmaul gezeichnet wird, sagt, denke ich, viel über die Auswahl an Charakteren in der Trilogie aus. Die eigentlichen „Sympathieträger“ nämlich – Elinor und Paul – konnten mir hingegen keine positiven Emotionen oder Mitgefühle entlocken: Während Paul auf mich relativ charakterlos und unnahbar wirkte und ich seine Gefühle für Elinor in keiner Weise nachvollziehen konnte, wurde Elinor (von Kit wohlbemerkt als „our lady of the triangles“ betitelt) mit ihrem grenzenlosen Egoismus und ihrem Selbstverwirklichungsdrang in Windeseile unerträglich für mich und das hielt auch bis zum Ende an.

In Noonday übernimmt das ganze Beziehungsdrama dann, wie bereits angedeutet, komplett die Überhand. Im Grunde dreht sich die Handlung – wenn man das hier überhaupt so nennen kann – zu diesem Zeitpunkt nämlich nur noch um die Eskalation des Dreiecksverhältnisses und um Betrügerei. Die Schilderung des „London Blitz“ rückt damit völlig in den Hintergrund, wird demnach fast nebensächlich und teilweise sogar recht halbherzig be- bzw. abgehandelt. In diesem Zusammenhang hatte ich auch das Gefühl, dass sich Barker, deren Spezialgebiet ja der Erste Weltkrieg ist, hier nicht ganz in die Materie vorgewagt hat, da hier Vieles deutlich unpräziser dargestellt wird, als es in den ersten beiden Büchern und vor allem in ihrer Regeneration-Trilogie der Fall war. Da Barker in Noonday also nicht einmal mehr mit ihrer sonst so akkuraten und eindringlichen Schilderung der Kriegserfahrungen punkten konnte und hier auch nicht mehr ihre gründliche Recherche zum Vorschein kam, bildet dieser Roman den schwächsten Teil einer ohnehin mäßigen Trilogie.

Lediglich Barkers (eigentlich) bewährter Ansatz, ihre Geschichten auf realen Geschehnissen zu basieren und sie mit historischen, aber fiktional ausgearbeiteten Personen zu bevölkern, sowie die damit zusammenhängende Darstellung bestimmter Begebenheiten und Umstände konnten mich bei dieser Trilogie ab und an für ein paar kurze Momente mitreißen. Ansonsten empfand ich die Umsetzung des Themas vor allem im Hinblick auf die oft holprige bzw. nicht vorhandene Handlung in großen Teilen als wenig überzeugend. Dadurch, dass Barker in dieser Trilogie trivialen Beziehungsdramen mehr Raum gegeben hat als der tatsächlichen Schilderung der Kriegserfahrung, die sie eigentlich so meisterhaft und wie kaum jemand anderes beherrscht, hat sie sich keinen Gefallen getan. Gerade im Vergleich zur Regeneration-Trilogie, welche mittlerweile als Klassiker gilt, und mit den damit einhergehenden Erwartungen kann Barkers zweite Weltkriegstrilogie bestenfalls als „dürftig“ eingestuft werden. Sehr schade, da ich mir so viel davon erhofft hatte. Aber immerhin konnte diese Leseerfahrung meinen Eindruck von der brillant geschriebenen Regeneration-Trilogie nicht trüben, die ich daher jedem nur ans Herz legen kann!

Seid ihr auch schon einmal von einer neuen Trilogie oder einem neuen Roman eines/einer eurer Lieblingsautoren/-autorinnen ähnlich enttäuscht worden?

Kommentare

  1. the lost art of keeping secrets

    Guten Morgen,
    ich habe gerade deinen Blog gefunden und bleibe direkt mal hier. 🙂 Bisher bin ich von Trilogien noch nicht komplett enttäuscht worden. Ich finde schon, dass manche dritte Teile eher gewöhnungsbedürftig sind, aber ich habe bisher auch noch nicht so viele Trilogien gelesen ;)Schade, dass die Regeneration-Trilogie für dich nicht so gut gepasst hat. Am nervigsten finde ich, wenn, wie du schreibst, Handlungen oder Details (Stichwort “game-of-thrones-mäßig”, da musste ich ja sehr lachen ;)) nicht durchdacht werden. Da bleibt nur: Auf zu den besseren Büchern!
    Liebe Grüße,
    Eva

    1. Guten Morgen Eva,
      wie schön, dass es dich hierher verschlagen hat! Würde mich natürlich auch sehr freuen, wenn du mal wieder vorbeischaust. 🙂
      Mir würde jetzt (außer eben vielleicht die “Regeneration”-Trilogie) spontan auch keine Trilogie oder Buchreihe einfallen, bei der das Niveau konstant gehalten werden konnte. Bei der “Life Class”-Trilogie war eben nur das Problem, dass ja eigentlich alle drei Bücher im Grunde nicht wirklich überzeugend waren und das ist dann, wie ich finde, schon nochmal eine andere Nummer.
      Aber na ja, genau wie du sagst, da ist die beste Devise, schnell zu den besseren Büchern überzugehen. 🙂
      Viele Grüße,
      Elena

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