Rezension: “Der Club” von Takis Würger

Weiche Schale, harter Kern

Insgeheim habe ich immer davon geträumt, an einer der Unis in „Oxbridge“ zu studieren. Jetzt vielleicht nicht mehr so sehr. Schuld daran trägt bzw. zu danken ist Takis Würger. In seinem Debutroman Der Club gewährt dieser nämlich einen gründlichen, ja fast schon an die Grenzen der Zumutbarkeit stoßenden Blick hinter die Fassaden der altehrwürdigen Gemäuer der Cambridge University und gleichzeitig tief hinunter in die menschlichen Abgründe. Damit liefert Würger zwar eine erschütternde Geschichte, lässt seine Leser aber nicht, wie eventuell vermutet, hart auf dem Boden aufkommen, sondern bettet sie überraschend weich. Überhaupt bricht der Roman mit sämtlichen Erwartungen, die man an ihn heranträgt, und überrascht damit auf ganzer Linie.

Von einer glücklichen Kindheit kann im Fall Hans Stichlers nicht die Rede sein: Schon früh mit dem Krebsleiden der Mutter konfrontiert und von den anderen Kindern als Außenseiter abgestempelt, hat der Junge schließlich kaum den Tod seiner Mutter überwunden, da muss er sich auch bald darauf von seinem Vater für immer verabschieden. Alles, was Hans bleibt, ist das Boxen, für das ihn sein Vater einst in weiser Voraussicht begeistert hatte. Von Einsamkeit und Schuldgefühlen geplagt, boxt Hans auch während seiner Zeit im Internat eisern weiter und bald wird klar: In der Brust dieses schmächtigen Jungen schlägt ein Kämpferherz. So stellt er sich schließlich auch der Herausforderung, als ihn seine sonderbare Tante Alex, ihres Zeichens Kunstprofessorin in Cambridge, eben an jene Uni bestellt, damit er dort ein Verbrechen aufklärt. Anfangs skeptisch gegenüber dieser etwas zweifelhaften Ehre, erliegt Hans schnell dem Charme der Elite-Uni und wird Mitglied in deren Boxclub, dem exklusiven Pitt Club. Auf einmal hat und erfährt Hans all das, wovon er bisher nur träumen konnte: Einen Lebensinhalt, Freundschaft, Liebe und vor allem Anerkennung. Doch je mehr die scheinbar erhabenen Fassaden der Institutionen und der Menschen dort bröckeln, desto unangenehmer werden für Hans die dunklen Geheimnisse, die dahinter zum Vorschein kommen. Schließlich steht er vor der Wahl: Ignoriert er seine Skrupel und schweigt, um weiterhin dazuzugehören, oder wird er zum Verräter?

Wie das grobe Gerüst der Geschichte bereits vermuten lässt, deckt Der Club so einige Genres ab: Er ist ein bisschen Krimi, ein wenig Coming-of-Age- und Enthüllungsroman, weist einen Hauch Liebesgeschichte und gleichzeitig einen Schuss Campusroman auf und kreiert so etwas ganz Eigenes. Spannung kommt hierbei vor allem durch das ungeheure Tempo auf, mit dem die Geschichte voranschreitet: Schlag auf Schlag geht es für Hans vom idyllischen Haus im Wald ins Internat, dann beinahe umgehend nach Cambridge und dort schnurstracks durch die Tür des Pitt Clubs und mitten hinein in das Leben der High Society. Kaum hat man einen neuen Charakter kennengelernt oder sich einigermaßen mit der Lage vertraut gemacht, wird man von der Handlung auch schon wieder unaufhörlich weitergezogen. Zusätzlich an Fahrt gewinnt der Roman außerdem durch die ständigen Perspektivwechsel – denn auch wenn Hans Stichler der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist, erzählt Würger diese auch aus der Sicht einiger anderer Figuren, deren Parts sich sprachlich deutlich voneinander abheben und dadurch für angenehme Abwechslung sorgen.

Was die kurzen Kapitel und das bemerkenswerte Tempo, das der Roman an den Tag legt, angeht, bekommt man bisweilen tatsächlich den Eindruck, als habe der Autor nicht viel Zeit verlieren wollen: Viele Tatsachen knallt er dem Leser quasi umstandslos vor den Latz (wäre da nicht die spezielle Sprache!), sodass man oft nur noch ein „Bam!“ – wohlgemerkt der markante Ausspruch einer der Romanfiguren – in den Ohren klingeln hört. Kurze Verschnaufpausen bleiben also nur wenige, aber wenn der Roman an einigen Stellen doch entschleunigt, dann fällt dies umso mehr auf, gerade weil sich dann der Fokus auf Details verschiebt, die scheinbar nicht ins Ganze passen, aber genau deshalb enorm zum besonderen Charme dieses Büchleins beitragen.

Eben auch an jenen Stellen kommt die für diesen Roman so charakteristische, einzigartige Sprache besonders gut zu tragen: Denn trotz des ernsten Themas und der melancholischen Stimmung bedient sich Takis Würger hier einer unverhofft zärtlichen und märchenhaften Ausdrucksweise, die ganz im Gegensatz zu all der Brutalität, die in der Geschichte steckt, steht. Und wo die Zärtlichkeit dann wirklich fehl am Platz ist, da wird immerhin mit einer erstaunlich kühlen Sachlichkeit erzählt, dank derer man sich auch erst nach einem kurzen Moment der tatsächlichen Grausamkeit des gerade Beschriebenen bewusst wird. So verhält es sich mit der Handlung ähnlich wie mit der (optisch und haptisch übrigens äußerst ansprechenden) Aufmachung des Buches: Vom Äußeren lässt sich zunächst nicht auf das Innere schließen, sprich die optische und auch sprachliche Verpackung lenkt zunächst vom Inhalt ab – die wahre Kraft entfaltet sich erst mit der Zeit. So steckt in dem blau-, schwarz- und graugestreiften Bändchen letztlich viel mehr, als erwartet – und Gleiches gilt ja auch für dessen Hauptfigur: Klein, aber oho!

Was den Protagonisten betrifft, blieb mir dieser leider immer ein bisschen fern und für mich bis zum Schluss gesichtslos, auch wenn seine Gefühle und Gedanken nachvollziehbar waren. Von seiner Freundin Charlotte wird Hans auch einmal folgendermaßen charakterisiert: „Es gab Momente, da war er weit weg, obwohl er neben mir saß, und meistens war es so, als sei er nur halb da.“ (S. 138) Damit bringt sie bzw. Würger meine Beziehung zur Hauptfigur perfekt auf den Punkt. Andere Charaktere erschienen mir wiederum sehr plastisch, nämlich vor allem die beiden weiblichen Hauptcharaktere Alex und Charlotte, aber auch Josh und Bill. Gerade der Schilderung der Figuren, aber auch unzähligen anderen Stellen im Roman ist Takis Würgers journalistischer Hintergrund deutlich anzumerken: Im Stil einer Reportage wird hier mit feinfühliger Sprache und eindringlichen Bildern gearbeitet. Einen ähnlich journalistischen Spürsinn verfügt auch Hans, der wie sein Schöpfer besonders aufmerksam zuhört und beobachtet. Überhaupt bekommt der Roman durch die Tatsache, dass Würger selbst eine Zeit lang in Cambridge studiert hat und Mitglied des Pitt Clubs geworden ist, nochmals einen weiteren interessanten Dreh

Mit seinem Debut Der Club liefert Takis Würger ein düsteres Märchen. Teils ausgesprochen nüchtern, teils erstaunlich einfühlsam erzählt der Autor eine packende Geschichte voller tragischer Schicksale, brüchiger Identitäten, kaputter Seelen und roher Gewalt – und dies aber leider oft in einem solchen Tempo, dass ich mir an vielen Stellen gewünscht habe, er hätte manchmal einen Gang zurückgeschalten, da ich Vieles gerne etwas länger ausgekostet hätte. Dies liegt wahrscheinlich auch an der bezaubernden Sprache und Detailgenauigkeit, die mich so begeistert und immer wieder ins Staunen versetzt haben. Vor allem durch diese einzigartige Ausdrucksweise und auch durch den ungewöhnlichen Genremix hebt sich dieses kleine, feine Büchlein von der Masse ab. Kurzum: Der Club haut einen wahrlich um.

Habt ihr Der Club bereits gelesen? Wenn ja, wie hat es euch gefallen?
Berichtet mir gerne in den Kommentaren von euren Leseeindrücken!

Kommentare

  1. Liebe Elena,

    ich lese heute (spätestens morgen!) den “Club” zu Ende und ich kann Dir nur bislang nur zustimmen. Ich habe sehr vieles genauso gelesen wie Du…

    Danke für Deinen sehr gelungenen Beitrag. Vielleicht folgt bald dann schon meine 🙂

    LG
    Stefan

    1. Lieber Stefan,

      erstmal freut’s mich total, dass es dich hierher verschlagen hat! Danke dir auch für deine lieben Worte! 🙂
      Es ist übrigens irgendwie auch beruhigend zu hören, dass ich das Buch nicht alleine auf diese Weise gelesen habe. Da bin ich dann auch noch mal ein bisschen neugieriger auf deine Rezension!
      Wünsche dir einen vergnüglichen Leseendspurt mit “Der Club”, genieß es! 🙂

      Viele Grüße,
      Elena

  2. fruehlingsmaerchen

    Wunderbare Rezension zu einem wunderbaren und ganz besonderen Buch wie ich finde! Danke für diese tolle Rezension!
    Liebste Grüße und ein schönes Wochenende!
    Liesa

    1. Liebe Liesa,

      wie schön, dich hier auf meinem Blog zu sehen! Es freut mich riesig, dass dir die Rezension so gut gefallen hat! 🙂

      Viele liebe Grüße und dir auch ein tolles Wochenende,
      Elena

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