Bericht: Lesung von Benedict Wells am 6. März 2017 in Kempten

Lesung aus Vom Ende der Einsamkeit 2.0

Ein bisschen weniger als ein halbes Jahr ist es her, da gab es meinen Blog noch nicht, die (Buch-)Blogger-Szene war für mich noch ein ziemlich unbekanntes Territorium und ich beschloss eines schönen Tages, auf eine Lesung von Benedict Wells zu gehen und danach einfach mal darüber zu schreiben. Ich hatte keine großen Erwartungen, vorbereitet habe ich mich eigentlich nicht (ich hatte kurz davor lediglich Becks letzter Sommer gelesen): Man kann sagen, ich war noch relativ grün hinter den Ohren. Trotzdem – oder vielleicht auch gerade deswegen – war diese Lesung eine sehr prägende Erfahrung für mich. Als ich schließlich erfuhr, dass Benedict auf seiner Lesereise zu Vom Ende der Einsamkeit noch einmal hier in der Gegend vorbeischauen würde, fackelte ich deshalb nicht lange: Ich wollte den Vergleich und eine etwas traditionellere Lesung erleben. Und jetzt, wo das Grün hinter meinen Ohren mittlerweile vielleicht schon einem Hellgrün gewichen ist (obwohl ich das wahrscheinlich besser eurem Urteil überlasse), habe ich die Lesung in Kempten tatsächlich anders wahrgenommen, auch wenn es wieder ein ähnlich wunderbares Erlebnis war.

In meinem Bericht über die Lesung in Ravensburg gab ich mich gegenüber der Tatsache, dass ich mich bis zu jenem Zeitpunkt kaum mit dem Schriftsteller und seinen Büchern beschäftigt hatte, mehr als erleichtert und blickte dem Datum völlig gelassen entgegen. Tja, was soll ich sagen, der Zug war dieses Mal schon längst abgefahren. Wochen-, wenn nicht gar monatelange freute ich mich ungemein auf diesen Termin und wälzte verschiedene Fragen, die ich stellen könnte, in meinem Kopf hin und her (na gut, der Großteil davon existierte eigentlich schon lange vorher, mein Fragenkatalog ist praktisch eh endlos).

Dass der Tag endlich gekommen war, realisierte ich dann aber auch erst, als ich mich am Montagabend gegen halb acht der Buchhandlung Dannheimer näherte und dort bereits reger Andrang herrschte. In den vorderen Reihen konnten meine Begleitung und ich schließlich zum Glück noch vereinzelte Sitzplätze ausmachen und wir schnappten uns deshalb sofort zwei davon – auch wenn man dort, sagen wir mal, sehr gemütlich neben-, ja fast aufeinandersaß. Ziemlich beeindruckend, wie viel Platz in einer normal großen Buchhandlung geschaffen werden kann, um circa 200 Interessierten die Möglichkeit zu bieten, eine derart hochkarätige Lesung miterleben zu können. Sogar eine Fahrt von über 450 km hatten manche für die Lesung auf sich genommen! Ich bin mir aber fast sicher, dass diejenigen die weite Anreise am Ende des Abends sicherlich nicht bereut haben.

So, wie Petrus mit Schneeregen einen Strich durch die sonnige Wetterrechnung der letzten Tage gemacht hatte, so wollte auch die Technik zunächst nicht so richtig mitspielen. Bei seiner Begrüßung musste Geschäftsführer Frank Edele mehrere Male unterbrechen, um das Mikrofon einzustellen, denn die Mehrheit der Anwesenden beklagte sich über ein Hallen. Tja, die Allgäuer haben halt hohe Ansprüche (und ich darf das sagen, weil ich selbst zu diesem Völkchen gehöre 😉 ). Am Ende ließ er das Mikro komplett weg und leitete den Abend mit einer informativen und begeisterten Rede ein: Offenbar hatte es wohl viel Hartnäckigkeit und einige Überzeugungsarbeit gebraucht, um auch einmal eine Lesung des Bestsellerautors im Allgäu ermöglichen zu können.

Umso größer war dann natürlich die Freude und umso tosender fiel der Applaus aus, als Benedict Wells schließlich an einem Holztischchen auf einem kleinen Podest Platz nahm. Zunächst erklärte er, wie der Abend ablaufen würde: Vier teils längere, teils ganz kurze Stellen würde er uns vorlesen, dazwischen hätten wir jeweils die Gelegenheit, alle möglichen Fragen zu stellen. Bei der letzten Lesung hatten mich die Zwischenparts mit den von Jacob Brass dargebotenen Songs ziemlich begeistert, aber jetzt freute ich mich wirklich ungemein auf die Fragerunden, die ja erfahrungsgemäß ganz neue Zugangsmöglichkeiten zu den jeweiligen Büchern eröffnen. Das erhoffte ich mir auch sehr von diesem Abend.

Benedict hatte für die Lesung dieselben Stellen aus Vom Ende der Einsamkeit ausgesucht, die er auch in Ravensburg vorgelesen hatte: Die Leseparts konzentrierten sich überwiegend auf den ersten Teil des Romans und sollten jeweils vor allem die drei Geschwister Jules, Liz und Marty vorstellen. Anschließend folgte noch ein späterer Teil aus dem Buch, der von Jules’ und Alvas Wiedersehen handelt. Was die Repräsentativität der ausgewählten Textpassagen angeht, bin ich, um ehrlich zu sein, etwas zwiegespalten. Einerseits stellen sie die einzelnen Charaktere und Beziehungen sehr anschaulich vor, andererseits vermitteln sie einen viel heitereren Eindruck, als es dann, wenn man das Buch als Gesamtes betrachtet, tatsächlich der Fall ist. Allerdings ist es natürlich verständlich, dass Benedict Spoiler vermeiden möchte – von daher ist das dann wohl die eleganteste Lösung. Jedenfalls erschienen mir die Textstellen viel kürzer (will heißen: viel zu kurz) als beim letzten Mal – vielleicht, weil ich die Handlung mittlerweile kannte, vielleicht aber auch, weil Benedict sie in der Zwischenzeit wirklich gekürzt hatte, da bin ich mir nicht ganz sicher. Aber es ist ja auch kein Wunder, dass man jemandem, der seine Stimme und Ausstrahlung so treffend einzusetzen weiß, gerne noch viel länger zuhören würde. Und ich wage mal zu behaupten, dass das nicht nur mir so ging, denn auch die anderen lauschten ihm gespannt und während der Leseparts herrschte immer eine andächtige Stille.

Mucksmäuschenstill blieb es dann aber auch erst einmal zu Beginn der ersten Fragerunde. Das Publikum schien entweder noch völlig gebannt oder noch etwas gehemmt. Ich tippe auf Letzteres. Heldenhaft gab sich ein Mann aus den hinteren Reihen einen Ruck und kam auf das berühmt berüchtigte Ende von Fast genial zu sprechen – natürlich nicht, ohne von Benedict gewarnt zu werden, bloß nicht zu spoilern. Die Frage lautete, ob die Geschichte für Benedict danach wirklich beendet gewesen sei oder ob sie in seinem Kopf noch weiterginge. Er erklärte, dass Fast genial und auch alle anderen Geschichten für ihn abgeschlossen seien – mit der Ausnahme von Becks letzter Sommer. Natürlich spitzte ich sofort die Ohren, denn hierbei handelt es sich um mein persönliches Herzensbuch. Benedict berichtete, dass er über eine Fortsetzung nachdächte, da ihn Beck und Rauli mittlerweile regelrecht „nervten“ und ihre Geschichte weitererzählen wollten. Ich war kurz davor, jubelnd von meinem Klappstuhl aufzuspringen, konnte mir das aber gerade noch verkneifen und vollführte stattdessen innere Freudentänze: An dieser Stelle also einmal danke an die beiden Quälgeister Beck und Rauli! Ich hoffe, sie werden auch weiterhin nicht lockerlassen.

Passend zum Stichwort „Beck“ fragte ich Benedict, wieso er nach den beiden aktuellen Überarbeitungen von Spinner und Fast genial nichts an seinem Debütroman verändert hätte. Er erklärte mir jedoch, dass er Becks letzter Sommer sehr wohl ein bisschen „getuned“ habe. Wie wunderbar! In diesem Fall hatte ich nun endlich die Ausrede dafür gefunden, mir auch noch die neue Edition dieses Romans zuzulegen.

Von Fragerunde zu Fragerunde legten die Zuhörer allmählich ihr Zaudern ab. Ich hatte wirklich das Gefühl, dass das Publikum erst einmal ein bisschen auftauen und erkennen musste, dass Benedict nicht beißt, völlig offen reagiert und geradeheraus antwortet. So zielten einige Fragen später auch weniger auf die konkreten Werke, als vielmehr auf den Werdegang und den Schreibprozess des Autors ab: Jemand erkundigte sich bei Benedict zum Beispiel, ob er glaube, dass man das Schreiben (an Universitäten) lernen könne, und wieso er sich gegen ein Studium entschieden habe. Vor diesem Hintergrund erklärte er, dass er nicht beeinflusst habe sein und seine eigenen Fehler habe machen wollen. Er sprach in diesem Zusammenhang von der „Leidenschaft am Schreiben und auch der Leidenschaft im Scheitern“ – eine sehr bestimmte Aussage, die mich ein bisschen ehrfürchtig zurückließ.

Seine jeweiligen Schreibprozesse betreffend, bezeichnete er sich auch als „Tüftler“ und „Bastler“, dem das Ende der jeweiligen Geschichte als Kompass diene. So stünden die Namen einiger seiner Figuren von Anfang an fest (z.B. im Fall von Beck, Rauli, Liz und Marty), an andere müsse er sich manchmal über Jahre hinweg herantasten: Jules beispielsweise habe einmal Nicolas und Alva eine ganze Weile Jana geheißen, bis er auf passendere Namen stieß.

Übrigens stehen mittlerweile wohl auch schon viele Namen der Figuren seines neuen Buches, ein Coming-of-Age-Roman, fest. Als Benedict dieses erwähnte, nutzte ich die Gelegenheit und erkundigte mich neugierig nach dem dazu passenden Soundtrack, um vielleicht schon einmal ein bisschen ein Gefühl für die Geschichte zu bekommen. Er beschrieb die Playlist als ein „Indie Best Of“ und versprach, mir später ein paar Titel zu nennen. Selbstverständlich stieg meine Spannung ins Unermessliche, doch ein bisschen musste ich mich noch gedulden.

Die „Wartezeit“ wurde zunächst aber glücklicherweise mit einem mitreißenden Lesepart sehr angenehm gestaltet. Überhaupt herrschte eine sehr gemütliche, ja geradezu familiäre Atmosphäre, was vielleicht ein bisschen an der dichten Bestuhlung, aber wahrscheinlich auch an der Tatsache lag, dass offenbar ein paar Lehrer (darunter auch „der beste Deutschlehrer, den [er] nie hatte“) seines ehemaligen Internats anwesend waren.

Weiterhin folgten sehr interessante Fragen und kurzweilige Antworten von Seiten Benedicts. So wollte zum Beispiel noch jemand wissen, ob er sich vorstellen könne, seine eigenen Hörbücher zu lesen, worauf Benedict mit einem Augenzwinkern meinte, dass er das wegen seines Dialekts wohl besser ausgebildeten Sprechern überlasse. Einige Zuhörer interessierten sich auch dafür, wieso er sieben Jahre lang an Vom Ende der Einsamkeit gearbeitet hätte. Daraufhin berichtete Benedict unter anderem, dass der Roman ursprünglich 800 Seiten umfasst und er sich über die Jahre immer mehr von zunächst noch so geliebten Textstellen getrennt habe, um am Ende mit dem effektivsten Ergebnis dazustehen – unnötige(re) Passagen mussten weg, weil er „den totalen Aufprall“ erzielen wollte.

Eine markante Formulierung, die vielleicht auch die letzte Frage des Abends, die es noch einmal richtig in sich hatte, inspirierte. Eine Zuhörerin fragte nämlich nach, ob er denn das Spiel mit den Emotionen des Lesers und diese gewisse Art von „Macht“ genieße. Benedict erklärte, dass es sich hierbei um eine relativ schizophrene Angelegenheit handle: So seien ihm beispielsweise beim Schreiben einer bestimmten Szene aus Vom Ende der Einsamkeit auf der einen Seite (in der Position des Lesers) die Tränen gekommen, auf der anderen habe er sich gleichzeitig auch nüchtern gefragt, wie er den Effekt noch steigern könne. Als „Macht“ würde er das allerdings nicht bezeichnen, sondern eher als eine Art Spielfreude – man säße schließlich Tag für Tag alleine vor dem Dokument und müsse sich ja irgendwie unterhalten. Absolut verständlich, wie ich fand.

Mit einer letzten kurzen Passage aus seinem Bestseller schloss Benedict die Lesung ab und eröffnete die Signierstunde. Geduldig harrte der Großteil der Besucher in der Warteschlange aus, man kam ins Gespräch und unterhielt sich über die Lesung oder ganz allgemein über Literatur. Durch den Austausch und die heitere Stimmung verging die Zeit schließlich wie im Flug. Circa ein Dutzend andere Personen und ich bildeten quasi die Nachhut der Reihe und bei den drei Damen vor mir meinte Benedict dann, als er die vom Schreiben mittlerweile krampfende Hand schüttelte, dass er jetzt Feierabend mache – aber natürlich machte er nur Witze. Ich hatte ihm diesmal Fast genial und Spinner zum Signieren mitgebracht, in letzteres schrieb er die versprochene Playlist, in das andere eine kleine Widmung. Für diesen kurzen Moment hatte sich das Warten also allemal gelohnt und in der Zwischenzeit hatte sich obendrein auch endlich noch das Schneegestöber eingestellt – was will man denn da bitte noch mehr? Ich jedenfalls habe die Buchhandlung rundum glücklich verlassen und bin mir ziemlich sicher, dass das auch auf sämtliche anderen Besucher zutrifft. Zwei ältere Damen, deren Gespräch ich „belauscht“ hatte (man konnte es aufgrund der Lautstärke auch gar nicht überhören), fassten die Ausstrahlung des Autors und den Abend insgesamt meiner Meinung nach perfekt zusammen: „Sympathisch“, „bodenständig“, „so talentiert“ und „richtig toll“.

Wer sich selbst einmal überzeugen lassen möchte, der kann ja vielleicht noch auf eine der letzten Lesungen dieser Lesereise gehen – sämtliche verbliebenen Termine sind hier zu finden!

(Und lieber Benedict, falls du unwahrscheinlicherweise doch irgendwann einmal über diesen Roman Artikel stolpern solltest: Tausend Dank für deine herausragenden Bücher (eh klar) und Worte sowie für deine stets grandiosen Musik- und Literaturtipps! Ich hoffe, meine Songempfehlungen haben dir wenigstens ein bisschen getaugt. 😉 )

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