Rezension: “Song for Night” von Chris Abani

Über das Grauen des Krieges und die Momente von Menschlichkeit im Krieg

Dem ein oder anderen Leser meines Blogs dürfte es vielleicht schon aufgefallen sein: Ich beschäftige mich viel und intensiv mit Kriegsliteratur, vor allem den Ersten Weltkrieg, aber auch Konflikte in Afrika und den globalen Terrorismus betreffend. Bei meinen Recherchen bin ich vor etlichen Monaten auch einmal auf Goodreads über den nigerianischen Autoren, Dichter und Literaturprofessoren Chris Abani gestolpert. Sein Gedichtband Hands Washing Water und seine Novelle Song for Night haben mich thematisch sofort angesprochen, letzteres Werk habe ich bald darauf auch besorgt. Vor ein paar Monaten packte ich das Büchlein dann spontan als Lektüre für einen Friseurbesuch ein – eine, wie ich dann schnell bemerkte, völlig hirnrissige Aktion, da dieses Buch ganz und gar nicht dafür gemacht ist, als leichte Kost mal eben so nebenbei verschlungen zu werden. Ich legte Abanis Werk wieder beiseite und zog es nun erst wieder vor ein paar Tagen aus dem Regal. Aufgrund seines eher geringen Umfangs und der nicht allzu vollbedruckten Seiten hatte ich die Novelle zwar auch innerhalb eines Tages gelesen, aber eben in vollkommener Stille und in einer Umgebung, in der sich die Geschichte und Abanis wunderschöne Sprache auch angemessen entfalten und wirken konnten.

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Eigentlich sollte man meinen bzw. ging ich davon aus, dass ich, was Literatur über Kriege betrifft, mittlerweile ein bisschen „abgehärtet“ sein sollte, nicht zuletzt habe ich auch schon bei so manch grausigen und (zu) detaillierten Beschreibungen beispielsweise in Sebastian Faulks Birdsong, Pat Barkers Regeneration-Trilogie und besonders Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues trotz eines nicht selten aufgekommenen leichten Übelkeitsgefühls und Bedürfnisses, das Buch schnell zuzuklappen und wegzulegen, tapfer weitergelesen. Doch Abanis Schilderungen eines nicht weiter definierten Bürgerkrieges in Nigeria haben mir dennoch wieder einiges abverlangt! Schon allein aus dem Grund, weil hier der Krieg aus der Sicht eines Kindes beschrieben wird und dem Leser dadurch klar vor Augen geführt wird, wie es gerade jungen Menschen in kriegerischen Auseinandersetzung geht bzw. gehen kann.

Die Geschichte fängt bereits sehr unkonventionell an. Der erste Satz lautet folgendermaßen:

What you hear is not my voice. (S.9)

Es ist die Geschichte des 15-jährigen Igbo-Waisenjungen My Luck, dem nach einer Explosion von seiner Truppe getrennten Anführer einer Einheit von Kindersoldaten, deren Aufgabe es ist, Minen zu entschärfen. Wie seinen Kameraden wurden My Luck in einer „Routineoperation“ die Stimmbänder entfernt, um im Falle des versehentlichen Auslösens einer Mine zu verhindern, dass sein Geschrei seine Kameraden beunruhigen könnte. So begibt sich der stumme und traumatisierte Junge nach Wiedererlangen des Bewusstseins also auf die Suche nach seiner Militäreinheit. Jede Kapitelüberschrift beschreibt hierbei eine jeweils andere Geste der Zeichensprache, die sich die stummen Kinder beigebracht haben, um miteinander zu kommunizieren: „Love Is a Backhanded Stroke to the Cheek“, „Ghosts Are a Gentle Breath Over Moving Fingers“ oder „Mercy Is a Palm Turning Out from the Heart“. Bereits diese Kapitelüberschriften muten auf gewisse Weise poetisch an und geben einen kleinen Einblick in Chris Abanis lyrisch geprägte Sprache. Denn es ist seinem wunderschönen Schreibstil und feinsinnigen Sprachgefühl allemal anzumerken, dass dieser Mann auch Dichter ist.

Und so wirkt es oft wie ein Paradox, wenn furchtbare Begebenheiten mit einer so schönen und anmutigen Ausdrucksweise beschrieben werden, dass es schier unmöglich scheint. Doch Chris Abani gelingt es in seiner Novelle, alles Alptraumhafte in stilvolle Worte zu packen, ohne dass der Schrecken des Dargestellten verlorengeht, ja dieser fast noch eindringlicher nachwirkt. Denn es ist wahrlich ein einziger Alptraum, den der Junge durchlebt (hat) und eine vollkommene Schreckenslandschaft, die My Luck auf seiner Suche durchwandert. Oftmals kann man sich nicht einmal sicher sein, ob das Beschriebene von dem jungen Soldaten wirklich erlebt wurde, gerade erlebt wird oder ob es sich „nur“ um einen Traum handelt. Auf seinem Weg wird der Junge immer wieder mit seiner Vergangenheit, dem schrecklichen Schicksal seiner Familie, seiner „Ausbildung“ zum Kindersoldaten sowie diversen traumatischen Kriegserfahrungen konfrontiert. Gleichzeitig beschäftigen ihn aber auch Erinnerungen an schöne Momente vor dem Krieg, aber auch während/trotz des Krieges: Beispielsweise Gespräche mit seinem Großvater, innige Augenblicke mit seiner Freundin Ijeoma (ebenfalls Kindersoldatin) und die gemeinsame Zeit mit seiner Mutter. Es scheint, als müsse My Luck all diese Erinnerungen und seine (Handlungen in der) Vergangenheit aufarbeiten, um voranzukommen, und dabei betont Abani auch die Möglichkeit und das Bestehen von Menschlichkeit im Krieg.

Song for Night thematisiert zugleich auch die Unsagbarkeit des im Krieg Erlebten und wirft Fragen auf, die nicht so einfach beantwortet und abgehandelt werden können:

[…] I am grateful that I can smell my smell, smell my smell and live while below me it happens, it happens that night bright as day, but I cannot name it, those things that happened while I watched, and I cannot speak something that was never in words, speak of things I cannot imagine, could never have seen as I saw it, and I hide and am grateful for my smell crouched like an animal in that dark hot place. (S.29)

This dirt will not wash off with water. Not even in a river. What kind of God makes a world like this? “Not God,” Isaiah, our prophet signed. “Man.” (S.113)

If we are the great innocents in this war, then where did we learn all the evil we practice? (S.117)

Passagen wie diese regen zum Nachdenken an und lenken die Aufmerksamkeit des Lesers vor allem auf das Los all jener Unschuldiger, die sich inmitten kriegerischer Auseinandersetzungen befinden und sich ihr Schicksal nicht ausgesucht haben, aber Wege finden (mussten), um zu überleben – Kinder wie der 15-jährige My Luck, der sich selbst und seine Situation folgendermaßen beschreibt:

I have never been a boy. That was stolen from me and I will never be a man – not this way. I am some kind of chimera who knows only the dreadful intimacy of killing. If it would help, I would cry, but tears are useless here. (S.119f.)

Und trotz allen Grauens und aller scheinbarer Ausweglosigkeit schimmert vielleicht nicht in jeder einzelnen Zeile, aber doch in jedem Kapitel dennoch ein bisschen Hoffnung hindurch. Das zeigt sich zum Beispiel besonders eindrücklich in folgendem Abschnitt

I have killed many people during the last three years. Half of those were innocent, half of those were unarmed – and some of those killings have been a pleasure. But even with all this, even with the knowledge that there are some sins too big for even God to forgive, every night my sky is still full of stars: a wonderful song for night. (S.60)

Und es ist eben auch genau jene von Abani so perfekt beherrschte Vermischung von Schrecken und Schönheit, die dieses Büchlein zu etwas besonders Wertvollem macht.

Habt ihr ähnliche Bücher gelesen? Wie erging es euch bei der Lektüre? 

Kommentare

  1. Julia | Literameer

    Hallo Elena,

    danke für den Tipp. Das Buch kommt auf jeden Fall auf meine Wunschliste. Ich finde es immer sehr interessant, wenn es Autoren gelingt, etwas schreckliches und verstörendes in eine poetische Sprache zu bringen. Das finde ich oft dann noch eindringlicher und noch berührender.

    Allerdings musste ich beim Lesen der Rezension schon schlucken, dabei ist das Buch da sicher noch heftiger. Aber das ist auch kein Grund, sich nicht damit zu beschäftigen.

    Liebe Grüße,
    Julia

    1. Liebe Julia,

      toll, dass du dir die Rezension angeschaut hast. Chris Abani ist wirklich ein Geheimtipp: Ich war so beeindruckt von seiner Sprache und seinem Stil – wirklich etwas ganz Besonderes!
      Und ja, das Buch hat einige relativ heftige Stellen, die mich mit einer ziemlichen Wucht getroffen haben. Sie haben mich auch noch eine ganze Weile nach dem Beenden der Lektüre beschäftigt und zum Nachdenken gebracht, aber das ist ja nie verkehrt, finde ich. Deswegen würde ich sagen, dass man aus diesem kleinen Büchlein wirklich einen bleibenden Mehrwert ziehen kann. 🙂

      Viele liebe Grüße,
      Elena

      1. Julia | Literameer

        Liebe Elena,

        dass dich das Buch auch noch nach dem Lesen beschäftigt hat, kann ich mir gut vorstellen. Das geht mir auch mit solch heftigen Themen so. Aber ist ja auch kein Wunder, solange man nicht völlig abgestumpft ist, geht sowas nicht spurlos an einem vorbei.

        Und Bücher mit Mehrwert finde ich immer toll. Das ist eigentlich das Schönste, wenn man ein Buch zuschlägt und es hat einem etwas gebracht.

        Liebe Grüße,
        Julia

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